Der wahre Sohn
und als sie seinen Blick auffing, drehte sie um und lief so ungeschickt davon, dass es wie eine Flucht wirkte. Von hinten sah er die für ihren Oberkörper etwas zu fülligen Beine in einer Jeanshose. Jetzt, da sie rascher lief, wirkte ihr Gang fast watschelnd.
Er verließ den Platz und nahm die Parknischen in Augenschein, in denen die Autos von Mitarbeitern oder Besuchern standen. Französische, japanische, russische Modelle. Ein paar ältere deutsche. Ein Mercedes 500 SE wäre hier ebenso aus dem Rahmen gefallen wie der echte Napoleon. Konrad sah sich weiter um und rechnete jeden Moment damit, angesprochen und gefragt zu werden, was er hier suche, in einer psychiatrischen Klinik. Doch nichts dergleichen geschah. Unter einer ausladenden Linde saßen ein paar Menschen an einem Tisch, über etwas gebeugt. Als er näher kam, sah er, dass sie Schach spielten. Jemand schaute kurz hoch, niemand sonst beachtete ihn. Die zwei Männer in Weiß mussten Pfleger oder Ärzte sein. Die anderen waren unauffällig gekleidet. Jetzt erkannte er das Gebäude wieder, in das er Svetlana hatte hineingehen sehen. Erste Station, stand auf dem Messingschild, und: «Lehrstuhl für Psychiatrie. Männerpsychiatrie.»
Auf den Treppenstufen stand eine ältere Frau mit weißer Haube und weißem Kittel und drehte sich eine Zigarette, das Gesicht und die Hände fast so dunkel wie der Tabak.
«Die Kleine lassen Sie besser in Ruhe», sagte sie.
«Welche? Ach, und warum?»
«Sie jagen ihr Angst ein.»
«Hab ich schon gemerkt. Aber wieso?»
«Nicht Ihr Problem. Ich sage Ihnen nur, verschwenden Sie Ihre männlichen Energien nicht an dieses Mädchen. Sie braucht Hilfe und Verständnis. Nicht wieder einen Typen, der sie bloß rumkriegen will.»
«Hören Sie.»
«Sparen Sie sich die Erklärungen. Ich sage Ihnen nur, lassen Sie die Finger von ihr.»
Er nickte und war froh, weiterzudürfen. Schon der weiße Kittel der Frau weckte seine Unruhe, Mediziner hatte ihn immer nervös gemacht, dieser Fachrichtung ganz besonders. Womöglich war Svetlanas Sohn wirklich hier. Aber ihm fiel kein Vorwand ein, unter dem er nach ihm hätte fragen können. Er wusste ja nicht einmal, ob dieser Sohn auch Solowjow hieß. Nicht zu eilig, aber doch als hätte er ein Ziel, ging er an einer Backsteinrotunde vorbei, kam zum langen Bau der Aufnahmestation, wo gerade ein Krankenwagen vorfuhr. Der Fahrer stieg aus und eilte zur verglasten Eingangsfront. Rechts erkannte Konrad die gewundene Asphaltstraße, die durch einen verwilderten Park führte.
Hier mochte es alles Mögliche geben, aber keinen Mercedes 500 SE . Er hatte hier nichts mehr verloren.
Svetlana winkte ihm schon von unten entgegen, sie ging sogar schneller, als sie ihn erkannte. Er blieb vor ihr stehen.
«Sie geben nicht auf, was?», lachte sie, außer Atem vom Hochsteigen. «Das gefällt mir.»
«Ich wollte nur mal sehen …»
«Kommen Sie. Ich zweifle sehr, ob Ihnen der Besuch bei meinem Sohn weiterhilft, aber wenn Sie so stur sind, sollen Sie die Erfahrung selber machen. Was kann schon passieren.»
«Waren Sie so sicher, dass ich hierherkomme?»
«Nein. Aber ich habe mir gedacht: Wenn dieser junge Mann das wirklich will, dann wird er nicht so einfach aufgeben. Dann lasse ich ihn. Wenn er wegfährt, war er nicht der Richtige. Das war so mein Gefühl. Sehen Sie, wir haben uns doch ganz gut verstanden. Sie haben mir schon viel von sich erzählt. Haben die weite Reise aus Deutschland gemacht. Es wäre schade, wenn wir einfach auseinandergehen.»
Plötzlich ausgelassen wie ein junges Mädchen, griff sie nach seiner Hand.
«Ganz ehrlich, ich freue mich, Sie zu sehen. Sind Sie inzwischen weitergekommen?»
«Ja», log Konrad, «ich habe einiges herausgefunden.»
«Gut», sagte sie, «Sie kommen jetzt mit zu Dr. Prokoptschuk.»
Svetlana begleitete ihn zur Ersten Station – der Männerpsychiatrie –, stieg vor ihm die Stufen zur Eingangspforte hoch und drückte die Tür auf. Am Ende eines kurzen Flures klingelte sie an der Tür zur geschlossenen Station. Der glänzende Messinggriff wirkte auf der Holzimitation wie ein Fremdkörper. Nach einer Weile öffnete ein sehr langer Mann im weißen Kittel, der trotz seines jugendlichen Alters schon leicht gebeugt war.
«Dr. Prokoptschuk, dies ist ein Neffe von Arkadij», sagte Svetlana. «Er möchte seinen Onkel besuchen und den Fall studieren. Sie können ihm alles sagen, auch die Krankenakte zeigen. Und das hier ist für meinen Sohn.»
Sie
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