Der wahre Sohn
Bei Dingen, die man noch nicht zu Gesicht bekommen hat, wie diesen Mercedes 500 SE , hängt fast alles vom Namen ab. Mit solchen Dingen machen die Namen, was sie wollen.
Wie mit dem deutschen Jungen.
Nach verhaltenem Abschied von Svetlana fuhr Konrad in die Klinik. Er wollte eine andere Stimme hören, die Meinung des Fachmanns.
«Bei dem Stichwort Auto wurde ich natürlich hellhörig», sagte er zu Dr. Prokoptschuk. «Das werden Sie verstehen. Und da tauchte diese Olha auf. Sagt Ihnen der Name etwas?»
«Olha? Nein.»
«Vielleicht hat er sich diese Frau nur ausgedacht. Ich muss herausfinden, ob es sie gegeben hat oder nicht. Und wenn ja, in welcher Beziehung sie zu ihm steht. Ich habe mich heute mit seiner Mutter unterhalten, sie meint, es habe in Arkadijs Leben keine Frau von Bedeutung gegeben, außer ihr selbst.»
Prokoptschuk lächelte.
«Vermutlich hat sie das zu verhindern gewusst. Die Frau ist narzisstisch, das sehen Sie ja.»
«Gab es denn Frauen in seinem Leben? Hatte er jemals eine engere Beziehung?»
«Sie meinen, Geschlechtsverkehr? Wie gesagt, verheiratet war er nicht. Über seine Beziehungen zu Frauen kann ich nichts sagen. Anamnestisch konnte das nicht ermittelt werden. Aber was er darüber sagt, klingt nicht, als hätte er es ernsthaft versucht. Falls ja, dann ist er auf traumatisierende Weise abgewiesen worden und hat dieses Erlebnis nie mehr angesprochen. Auch das könnte ein Grund für seine Depressionen sein. Mit einem Wort» – Prokoptschuk breitete beide Handflächen aus – «
we don’t know
.»
Konrad nickte verständnisvoll.
«Impotent ist er jedenfalls nicht. Die Schwestern stellen bei der morgendlichen Visite regelmäßig Erektionen fest.»
«Wie das? Gucken sie routinemäßig unter die Bettdecke?»
Prokoptschuk verzog einen Mundwinkel.
«In der Psychotherapie ist die Sexualität kein verschämtes Randgebiet, sie ist von ganz zentraler Bedeutung.»
Toll, dachte Konrad, wie fortschrittlich ihr hier seid. Er musste seinen Ärger unterdrücken, ohne genau zu wissen, was ihm an den Worten des Psychiaters missfiel. Das war ja eigentlich selbstverständlich. Konrad missfiel – jetzt wusste er es –, dass er nach Beziehungen zu Frauen gefragt hatte und Prokoptschuk gleich von Geschlechtsverkehr sprach. Das war so, wie wenn Menschen, denen etwas peinlich ist, gerade dieses Etwas mit besonderer Verquastheit hervorheben. Sein Vater zum Beispiel hatte bei jeder Gelegenheit genüsslich das Wort Beiwohnungsvermutung zitiert, wenn er es in irgendwelchen Sorgerechtsurteilen fand; er war Scheidungsspezialist, vermutlich war er deshalb seine Frau so unkompliziert losgeworden. Hörst du, Konrad, eine Beiwohnungsvermutung, kannst du dir was darunter vorstellen? Mit
seinem Sohn über Mädchen oder Sexualität zu sprechen, hatte er nicht geschafft, dafür stupste er ihn in dieser Weise auf das Thema wie den Hund auf den Haufen, den er auf den Teppich gemacht hat. Damals schämte Konrad sich nur. Heute wusste er, warum sein Vater so empfindlich war für diesen Begriff. Er hatte längst eine böse Ahnung in Bezug auf seine Frau.
Die scheinbare Offenheit des Psychiaters war nur Fassade. Der Mann gebärdete sich so selbstbewusst, als wäre er die weiße Leinwand, auf der alle Pathologien dieser Welt sich unverfälscht abbilden konnten. Außerdem machte er Arkadij klein, was Konrad gar nicht gefiel.
Es war vielleicht nicht böse gemeint. Junge Leute, gerade wenn es ihnen gutgeht, können in ihrer Sorglosigkeit sehr herablassend wirken. Der sympathische junge Arzt war vielleicht frisch verheiratet und präsentierte sich als Paradebeispiel des sexuell gesunden Mannes, alles an ihm schien so makellos zu sein wie das weiße Gebiss in einer Zahncremereklame. Vermutlich spürte er Konrads Unsicherheit, als er ihn mit leicht geöffneten Lippen anlächelte, mit dieser Reihe tadelloser, harter Zähne, wie aus poliertem Porzellan. Das war viel zu perfekt, einzig ein Speichelfaden verlieh ihm noch Menschlichkeit. Konrad hätte Lust gehabt, mit der Faust in diese Fassade zu hauen, ihr Glas zu zertrümmern.
«Ein bisschen hat er ja recht», sagte er stattdessen. «Manchmal ist es mit den Frauen tatsächlich so.»
Prokoptschuk lächelte.
«Wie meinen?»
«Nun, dass sie hart sind, und knöchern.»
«Und seit wann leiden wir unter diesem Eindruck?» Prokoptschuk lachte.
Konrad lachte zurück. Aber er hatte kein Vertrauen mehr zu ihm. Er behandelte Arkadij ja auch erst seit einem Jahr und
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