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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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Streich von Feldzug, in einem Gitterkäfig auf dem Londoner Marktplatz ausgestellt und mit Honig eingeschmiert wird, damit die Bienen ihn zerstechen. Männer verlieren nie diesen spezifischen, lockeren Humor. Mit Hilde Benjamin in ihrer Kutsche hätten sich die beiden ihr Lachen gewiss verkniffen.
    Es war schade, dass Konrad den alten Haudegen Jurij Solowjow nicht mehr kennengelernt hatte. Wenn der sich in seinem Alter wirklich noch so ein Auto zugelegt hatte, musste er Humor gehabt haben, oder Mut zur Extravaganz. Da war nichts von Breschnews kleinem Aufschwung mit Kühlschrank und Fernsehgerät, der dem westlichen Bürgertum hinterherhechelte wie die evangelische Kirche dem Fortschritt. Nein, das war eine Kriegserklärung an die eigene Angst. Genau das, was Jacek an den Russen fürchtete und Konrad an ihnen bewunderte.
    Ein ehemaliger Politkommissar, der Hunderte von unbewaffneten Lagerhäftlingen in die deutschen Linien hetzt – sollen sie sich ihre Waffen und Ausrüstung erst einmal selbst erbeuten –, der sie von Spezialeinheiten abknallen lässt, wenn sie umdrehen und fliehen wollen, der kutschiert jetzt glücklich im größten Statussymbol des Klassenfeindes umher. Seltsam, wie die alten Glauben, die alten Ideale sich wandeln. Die Wärme der DDR -Gemeinschaft taugt nur noch zur Zigarettenreklame. Die Sowjetunion schnappt nach westlichen Automarken wie ein dumm gewordener Fisch. Kiew hungert, und Jurij Solowjow sitzt im Fonds seines 500   SE – das Sahnehäubchen auf einem langen Leben. Aber eine einzige ehrenrührige Bemerkung, und er würde dieses Häubchen mit den Kugeln seiner MP durchlöchern zum Beweis, wie wenig es ihm bedeutete. Wer mochte ihm das Auto spendiert haben? Genau das war der Punkt, an dem Konrad nicht weiterkam. Diese eine Stimme fehlte, nicht nur, weil Jurij ihm hätte sagen können, wo das verdammte Auto war. Nein, er fehlte wirklich, alle redeten über ihn, nur er selbst war verstummt. Von ihm gab es nicht einmal eine konservierte Stimme wie die von Arkadij.
    Konrad fragte sich, warum Arkadij so ganz anders geraten war, so ängstlich und verschreckt. In seiner neurasthenischen Empfindlichkeit ähnelte er eher der Mutter.
    Aber Schluss jetzt. Konrad warf das Papier hin und legte sich aufs Bett.
    Wie weit wollte er noch gehen? Die Geschichte wurde immer komplizierter, je mehr er sich in diesen familiären Wirrwarr verirrte. Sie war ohnehin schon komplizierter als das Getriebe eines Mercedes 500   SE . Einem Auto kann man unter die Haube schauen und braucht nur aufzupassen, dass man sich nicht am heißen Zylinderkopf verbrennt, und wenn der Motor kalt ist, schießt auch kein Wasserdampf aus dem Kühler. In dieser Familie dagegen war noch einiges am Leben, manche versteckten sich, andere wollten ihn in die Irre führen, sobald er ihnen zu nahe kam. Das Auto ist eine dumme, gutwillige Maschine, es muss mit Benzin getränkt werden, damit es einen Verteilerfinger rührt.
    Diese hübschen slawischen Metaphern. Krank war sein Onkel vielleicht gewesen, aber nicht dumm.

[zur Inhaltsübersicht]
    Fünf
    Als Konrad aufstand und auf den schwarzen Asphalt des Europaplatzes blickte, fühlte er sich wieder stark genug, Arkadij ins Auge zu schauen. Ein böiger Frühlingswind peitschte die Baumwipfel, es regnete. Eilig, als hätte er Angst, diese Stimmung könnte ihm wieder vergehen, zog er sich an und fuhr in die Klinik.
    Arkadij schien auf ihn gewartet zu haben. Der lauernd interessierte Seitenblick, den Konrad erhaschte, verriet die bisherige Dumpfheit als Pose. Dieser Mann war nur körperlich geschwächt. Blass und knochig ruhten die Unterarme auf der Decke. Doch wie er dann ächzend eine Matratzenecke am Kopfende anhob und ihm darunter eine Mulde mit versteckten Tabletten zeigte, das zeugte von einem geradezu animalischen Lebenswillen.
    Konrad lächelte anerkennend.
    «Sie verraten mich nicht, oder?», flüsterte Arkadij.
    «Nein, darauf können Sie sich verlassen.»
    «Erste Maßnahme vor jedem Ausbruch», sagte Arkadij, «die Pillen absetzen. Die machen nämlich unheimlich müde.»
    Konrad nickte.
    «Vielleicht möchten Sie eine?», grinste er. «Ich habe genug davon. Sie helfen gut gegen Nervosität.»
    «Danke. Mache ich einen nervösen Eindruck?»
    «Ein bisschen. Aber keine Bange. Ich war am Anfang auch völlig durcheinander, als ich hierherkam.»
    «Ich habe mit Svetlana gesprochen. Sie behauptet, es gebe gar keine Olha. Sie hätten sich das nur ausgedacht. Das gibt mir natürlich zu

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