Der wahre Sohn
denken.»
Er sah Konrad erschrocken an.
«Wundert Sie das? Svetlana hat Angst.»
«Aber wovor?»
«Denken Sie mal nach. Wovor hat ein Mensch Angst? Das ist eine der wichtigsten Fragen, um jemanden zu verstehen. Wenn Sie richtig überlegen, werden Sie damit auf eine Spur kommen.»
«Spur wovon?»
«Von Ihrem sogenannten Auto.»
«Wie bitte?»
«Ich meine das, was Sie suchen. Aber seien Sie vorsichtig. Die Angst macht einen Menschen gefährlich.»
«Sie meinen, Svetlana könnte mir etwas tun?»
«Sehen Sie mich an.»
«Ich werde so enden wie Sie?»
«Was glauben Sie, weshalb ich hier bin?»
«Sie wollen sagen, Ihre Mutter ist schuld daran? Das finde ich ungerecht.»
«Sie sind blauäugig. Auch im übertragenen Sinne.» Arkadij lachte. «Hat sie Sie etwa schon rumgekriegt? Passen Sie auf, sie mag die Deutschen. Sie hat damals mit einem Wehrmachtsoffizier angebändelt.»
«Woher wollen Sie das wissen?»
«Hat mein Vater mal erzählt. Er kam aus dem Krieg zurück und hat ein Foto gefunden.»
«Das muss doch nichts heißen. Vielleicht hat sie ihn einmal zum Kaffee eingeladen. Wissen Sie, dass Svetlana das Gleiche von Ihnen behauptet?»
«Was?»
«Dass Sie gefährlich sind. Ich wollte ihr erst nicht glauben, aber sie hat mir eine Narbe gezeigt, die von Ihnen stammen soll.»
«Eine Narbe?», lächelte Arkadij. «Wo?»
«Am Unterarm.»
«Ja, das ist wahr. Die stammt von mir. Gefällt sie Ihnen?»
«Svetlana?»
«Nein, die Narbe. Ich weiß noch sehr gut, wie sie aussieht. Svetlana versucht immer, sie unter dem Ärmel zu verstecken. Sie ist ja furchtbar eitel. Als sich schon längst kein Mann mehr nach ihr umgedreht hat, stand sie immer noch lange vor dem Flurspiegel und hat Schnuten gezogen, als wollte sie sich selbst verführen. Einmal habe ich sie heimlich beobachtet, und sie hat es gemerkt. Ich bin sehr froh, dass ich sie gebissen habe. Das war eines der wenigen Dinge im Leben, die mir wirklich Vergnügen bereitet haben, noch die Erinnerung daran tut mir gut. Und wenn Sie sagen, es tut ihr noch weh, geht es mir gleich besser. Ich hätte viel mehr solche Dinge tun sollen, dann wäre ich nicht hier. Eigentlich könnten Sie mal einen Krimsekt mitbringen, wir sollten darauf anstoßen.»
«So. Meinen Sie. Woher kommt dieser Hass auf Ihre Mutter?»
«Sie ist ja gar nicht meine Mutter.»
«Was?»
«Verraten Sie mir, was Ihnen im Leben am meisten Vergnügen gemacht hat.»
«Svetlana ist nicht Ihre wirkliche Mutter?»
«Nein», sagte Arkadij. «Also, raus mit der Sprache. Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?»
Konrad missfiel die Frage. Sie klang, als ginge sein Leben schon zu Ende.
«Am meisten Spaß, die Frauen», antwortete er.
«Wie, die Frauen? Was haben Sie mit denen gemacht?»
«Na, Sie wissen schon.»
«Sie sind ja langweilig», lächelte Arkadij gequält.
Er hatte recht. Spaß war das falsche Wort für diese Geschichten, sie waren am Ende immer mit Schmerz verbunden. Richtigen Spaß hatte ihm zum Beispiel der Krebs im Pressegger See gemacht. Als er ihn beim Tauchen entdeckt hatte, war er ihm im trüben Wasser nach links weggesprungen. Konrad musste auftauchen, die Glasscheibe der Brille innen mit Spucke einreiben, damit sie nicht beschlug. Seine Armbewegungen wirbelten den schlammigen Boden auf. Beim zweiten Versuch sprang der Krebs nach rechts weg. Konrad war siegesgewiss, als er Luft holte und beim dritten Mal mit beiden Händen langsam nach ihm griff. Da sprang der Krebs nach oben ans Glas der Taucherbrille, sodass Konrad vor Schreck ohne Beute wieder aufgetaucht war. Das hatte ihm imponiert: weder links noch rechts, weder ja noch nein. Er ließ ihn in Ruhe.
Er klingelte nach der Schwester und verabschiedete sich.
«Svetlana ist offenbar gar nicht Arkadijs richtige Mutter», sagte Konrad beim Gehen zu Prokoptschuk. «Kann das sein?»
«Davon weiß ich nichts. Im Personalbogen steht nichts davon.»
Auf dem Weg zum Bus fiel ihm noch etwas ein. Von dem Bollerwagen hätte er Arkadij erzählen können, der hatte ihm auch Spaß gemacht. Mit diesem Gefährt, einer offenen Kiste mit schrägen Holzwänden, war er als Kind durch die Gegend gezogen. Die schwarzen Hartgummireifen krachten auf den Pflastersteinen, ab und zu war Konrad so ungeschickt stehen geblieben, dass er über die eigenen Beine stolperte und sich seiner Ladung vergewissern musste: Ziegelsteine aus der Ruine des verfallenen Hauses am Bahngleis oder ein Haufen schwarzer Erde mit Stöckern. Stöcker, dass dieses Wort
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