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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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meines Vaters bin ich ihm seit meiner Kindheit zum ersten Mal wiederbegegnet. Ich hatte völlig vergessen, dass ich überhaupt einen Onkel hatte. Vor ein paar Wochen habe ich ihn dann besucht.»
    Sie hob ihren Zeigefinger. «Ich wusste ja, mit Ihnen stimmt etwas nicht.»
    «Man hat ihn quasi vor mir versteckt. Er war der Familie peinlich, hatte seltsame Ansichten. Lebte ganz allein mit einer Haushälterin am Rande Berlins.»
    Er sagte ihr nur die halbe Wahrheit. Stereotype, von denen er glaubte, dass sie auf Anhieb verständlich wären, Geschichten vom schrulligen Onkel. Alles andere ließ er weg. Mit der Liebe zwischen Geschwistern konnte sie bestimmt nichts anfangen.
    «Immerhin, eine Haushälterin», sagte sie. «Es ist nicht gut, wenn Männer allein leben.»
    «Er war auch Soldat in Russland, erzählte in einem fort Geschichten von Tscherkassy. Kam nicht mehr von seinen Kriegserlebnissen los. Hat immer von toten Sowjetsoldaten geredet.»
    «Und er hat sich das gefallen lassen?»
    «Was?»
    «Dass er von der Familie geschnitten wurde.»
    «Ja, was sollte er tun?»
    «Ich wäre trotzdem gekommen», sagte sie. «Zu jedem Familienfest. Einfach so, als dreizehnte Fee.»
    Aus dieser Perspektive hatte Konrad die Sache noch nie betrachtet. Aber ihm war klar, weshalb Onkel Wolfgang nicht gern zu Familienfeiern kam. Auf der Beerdigung seines Bruders hatte man ja gesehen, wie er behandelt wurde.
    «In Ihrer Familie gibt es ja auch kein schwarzes Schaf.»
    «Ist Arkadij etwa keins?»
    «Und Wasyl Holota, war der auf der Beerdigung?»
    «Wer?»
    «Holota, Wasyl.»
    Svetlana errötete so schnell, dass es trotz ihres dunklen Teints zu erkennen war.
    «Nie gehört. Wer soll das sein?»
    «Ein Oligarch.»
    «Wir pflegten keinen Umgang mit Oligarchen. Sie wissen, dass ich diese Neureichen nicht ausstehen kann. Mein Mann bezog eine Rente, die nicht kümmerlich war, aber auch kein ausschweifendes Leben ermöglichte. Sie sehen ja, wie ich hier wohne.»
    «Aber den Namen kennt in Kiew angeblich jeder.»
    «Holotas gibt es wie Sand am Meer. Und Oligarchen – diese Leute haben alles kaputtgemacht, was wir in siebzig Jahren aufgebaut haben. Ich verachte sie.»
    Konrad nickte und schwieg.
    «Saßen Sie nach der Beerdigung noch beisammen? Es gab doch sicher eine Trauerfeier.»
    Svetlana lächelte. «Sie geben nie auf, was?»
    «Verstehen Sie, wenn der Wagen kurz vorher angemeldet worden war, muss Ihr Mann Kontakt mit der Person gehabt haben, die das veranlasst hat. Wenn er denjenigen kannte, liegt es nahe, dass der auch zu der Beerdigung kam.»
    «Diese Hartnäckigkeit mag ich an Ihnen», sagte Svetlana.
    Und er konnte das erste Mal nicht überhören, dass sie ihn mit diesem Kompliment weichbekommen wollte.
    «Wird schwer sein, es Arkadij zu sagen. Ich glaube, er hat seinen Vater sehr geliebt.»
    «Ach was, geliebt – vergöttert. Blind vertraut hat er ihm. Neulich ist mir eingefallen, was er mit dem Auto gemeint haben könnte, das von allein losfuhr.»
    «So?», sagte Konrad ungeduldig, denn er ahnte, dass jetzt wieder eine skurrile Anekdote kommen würde, die ihm nicht weiterhalf.
    «Das muss er aufgeschnappt haben, als mein Mann seinen neuen Dienstwagen bekam. Jurij wollte unbedingt selbst am Steuer sitzen, dem Chauffeur gab er frei. Und gleich am ersten Tag ist Jurij prompt gegen die Hauswand gefahren, auf dem Hof. Die Nachbarn haben schadenfroh durch die Gardinen gelinst. Das schöne Blech. Stoßstange und Kotflügel waren verbeult, der Lack völlig zerkratzt.»
    Blech, Lack. Zerkratzt. Konrad konnte sich schwer gegen die Wirkung dieser Wörter wehren.
    «Jurij sagte: ‹Die Kupplung ist mir weggerutscht.› Arkadij lief auf den Hof hinunter, in seinem zerknitterten Hemd, mit zerwuselten Haaren, ich habe mich immer geschämt, wenn er sich draußen zeigte. Wir standen alle drei neben dem Auto, und Jurij sagte zu Arkadij: ‹Siehst du, das Auto ist von allein losgefahren.› Das sollte ein Witz sein, mein Mann hatte diesen absurden Humor. Außerdem wollte er nie Fehler zugeben. Schon gar nicht vor seinem Sohn. Und Arkadij – dreißig Jahre alt – muss ihm geglaubt haben. Daran können Sie sehen, was für ein grenzenloses Vertrauen er zu seinem Vater hatte. Er hat Jurij alles abgenommen, jede Lüge. Deshalb wird er Ihnen auch immer seine eigene Version erzählen. Bestimmt behauptet er, ich lüge, oder?»
    «Nein, nein. Aber es wäre wunderbar, wenn Sie sich an alle Dinge so genau erinnern könnten wie an diese Geschichte vor vielen

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