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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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Küchenschrank, holte die Cognacflasche und goss sich ein Gläschen ein.
    «Jurij war an der Front, in der ganzen Stadt herrschte Chaos. Es war die Hölle. Die Sowjetmacht hatte Kiew geräumt, es gab keine staatliche Autorität mehr, die Menschen plünderten die Geschäfte. Sie machten sogar noch weiter, als die Deutschen einmarschierten. Als ihr kamt.» Sie blickte ihn sanft an, als fürchtete sie, ihn zu verletzen. «Alles ging drunter und drüber. Ich war allein mit Arkadij und brauchte Olha jetzt wirklich, für den Haushalt und überhaupt. Am schlimmsten waren die ersten Tage. Zum Einkaufen musste man raus, auf die Basare. Es gab immer weniger. Die Bauern brachten Brot, Milch, Piroggen, Pilze, aber sie durften nicht nach Kiew. Manchmal sah man eine blutige Leiche im Schnee, wenn die ukrainische Hilfspolizei jemand mit Schmuggelware erwischt hatte. Ich rechnete damit, dass sie Olha irgendwann schnappen und ins Reich schicken würden, denn überall gab es Razzien, sie suchten Arbeitskräfte. Aber sie war gewitzt, bald konnte sie ein paar Brocken Deutsch. Fand Freunde unter den Soldaten, na, um das Mindeste zu sagen. Einmal hat sie sogar einen …»
    «Einen Soldaten?»
    «Helmut hieß er. Sie brachte ihn mit nach Hause. Ist das ein verbreiteter Name? Ich habe Ihnen gesagt, es gab auch gute Deutsche.»
    «Wo hat Olha denn geschlafen?», fragte Konrad.
    «Das interessiert Sie? Sie hatte eine kleine Schlafkammer ganz hinten. Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen. Eigentlich ist das nur eine Rumpelkammer. Eine Liege steht darin.»
    Am Ende des Flurs öffnete sie eine Tür.
    «Aber immerhin, sehen Sie, ganz bequem.»
    Sie nahm auf der dünnen Matratze Platz. Ihr Rock rutschte über die Knie, die in einer gelblich schimmernden Strumpfhose steckten.
    Es war eher ein Feldbett. Ein gebogenes Stahlrohr an jedem Ende, die weiß-blau gestreifte Matratze auf einem Drahtgestell, darauf eine Wolldecke. Konrad setzte sich neben Svetlana. Er wollte die Wohnung aus Olhas Sicht betrachten.
    «Der kleine Arkadij ist immer zu ihr unter die Decke gekrochen, wenn wir weg waren. Ich weiß das. Ich konnte ihm tausendmal sagen, er darf nur nach rechts, wenn er aus seinem Zimmer kommt, nie nach links. Als er größer war, ließ sie ihn nicht mehr rein. Einmal habe ich nachts gehört, wie er wieder leise an ihrer Tür klopfte. Ich glaube, sie hatte das Bett davorgeschoben.»
    «Würden Sie bitte mal aufstehen?», fragte er.
    Als sie es verwundert tat, legte er sich flach auf das Bett. Die Matratze war hart.
    «Hier hat sie also immer gelegen. Wo war das Kopfende?»
    «Übertreiben Sie es nicht!», rief Svetlana. «Dort an der Wand.»
    Er bettete sich um. Dann hob er die Decke und hielt sie an seine Nase.
    «Ist doch tausendmal gewaschen! Sie mit Ihrem Geruchsfimmel! Als sie weg war, stand die Kammer lange leer. Später hat dann mein Mann hier geschlafen. Erst hat mich das gestört, weil es so aussah, als würde er nachts zu ihr gehen. Aber neben mir bekam er Beklemmungen. Er wurde wach und schrie herum, brüllte irgendwelche Befehle. Seit dem Krieg war das so. Irgendwann hat er einfach sein Bettzeug gepackt und ist in Olhas Zimmer gegangen.»
    «Arkadij wird das sicher mitbekommen haben. Er lag ja nachts oft wach, weil das Licht im Flur ständig brannte.»
    Svetlana wurde blass. «Das hat er Ihnen erzählt?»
    Er nickte.
    «Verstehen Sie jetzt, wie peinlich es mir ist, dass er vor den Ärzten all diese Familiengeheimnisse ausbreitet? Ich möchte nicht wissen, was für einen Unsinn er über mich gesagt hat.»
    «Nichts, eigentlich. Haben Sie denn Geheimnisse?» Konrad lächelte.
    Sie senkte den Kopf und sah ihn an. «Einmal hat Arkadij uns erwischt, wie wir in der Küche …»
    Nein. Im Reflex hob er die Hand, um sie vom Weiterreden abzuhalten, aber sie reagierte nicht.
    «Hat er davon nichts erzählt? Oh, bestimmt. Jurij war ein starker Mann, nicht dass Sie denken. Ich hatte zwar oft nicht viel Lust, aber wenn er wirklich wollte, dann ließ ich mir den Rock hochstreifen und ihn machen. Liebe war das nicht, vielleicht nicht einmal Leidenschaft. Ich redete dabei weiter, ich hatte den Einkaufszettel neben mir liegen und überlegte, was wir noch brauchten. Ich dachte an Brot und Kartoffeln, und er machte. Er öffnete nur den Hosenschlitz, zog nicht einmal seine Hose runter. Es war rein physisch. Das habe ich begriffen, spätestens als er mit anderen Frauen anfing.»
    Die Gabe der Frauen zur unverstellten Rede hatte Konrad immer fasziniert. Es stimmt

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