Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
vor.
    „Also gehen wir!“ Dobrynin richtete sich auf, klemmte sich die Aktentasche unter den Arm und steckte die Hände in die Manteltaschen – sie waren schon blau-violett vor Kälte.
    Der Urku-Jemze führte ihn zu einem nahen Hügel, aber nicht in die Richtung, in der sich die Stadt Chulajba befand. Obwohl sie sich nicht beeilten, gingen sie nicht lange.
    „Dort gibt es Stellen“, erklärte der Urku-Jemze, „wo das Eis ganz dick ist, aber gleich daneben, etwas näher zum Ufer hin, ist es so dünn wie eine Rentierhaut … Und den Stab hat der Russe Schenderowitsch dort aufgestellt, damit man nicht hingeht. Dort ist das Eis am dünnsten!“
    „Und was ist das für ein Schenderowitsch?“, fragte Dobrynin, der sich schon ein wenig beruhigt hatte und sich von den düsteren Gedanken ablenken wollte, die nach der soeben durchlebten Angst in seinem Kopf kreisten.
    „Es gab einen solchen Mann vor dem Russen Kriwizkij“, erzählte der Urku-Jemze im Gehen. „Er war ein guter Mensch, sammelte keine Parteibeiträge ein, hat mich von einer Krankheit geheilt … alle haben ihn geachtet.“
    „Und wo ist er jetzt?“, wollte der Volkskontrolleur wissen.
    „Jetzt gibt es ihn nicht mehr.“ Waplach stieß einen Seufzer aus. „Ein Bär hat ihn getötet.“
    Waplachs Zelt stand in der Vertiefung zwischen zwei winzigen Hügeln. Es war klein, nur halb so groß wie der Balagan, dafür aber konnte Dobrynin, sobald sie hineingegangen waren, sogleich die Wärme dieser dunklen, fensterlosen Behausung spüren, in deren Mitte ein Ofen prangte, der wie bei allen aus einem Benzinfass bestand. Durch das seitlich ausgeschnittene Loch fiel ein rötlicher Schein auf den Rentierpelzboden.
    „Aaah.“ Waplach beugte sich zum Ofen. „Gut, dass er nicht erloschen ist … ich muss noch Flechten nachlegen …“ Und er hob ein Rentierfell vom Boden hoch und holte darunter einige braune Stücke hervor. Er warf sie in den Ofen und wandte sich dann erst Dobrynin zu, um ihm eine ähnliche Liege wie bei Abunajka zum Sitzen anzubieten.
    „Möchte der russische Gast etwas essen?“, fragte der Urku-Jemze. Der Volkskontrolleur nickte. Daraufhin stellte Waplach einen kleinen Kessel mit Essen auf den Herd.
    „Wir müssen die Aktentasche auftauen …“, sagte Dobrynin nachdenklich und sah den Urku-Jemzen sehr freundlich und respektvoll an.
    Waplach nahm dem Volkskontrolleur die gelbe Aktentasche aus der Hand und stellte sie neben den Ofen.
    „Sie wird bald aufgetaut sein“, sagte er. Dann setzte er sich neben Dobrynin und fragte:
    „Und warum ist der Russe Dobrynin hierhergekommen?“
    „Ich bin zum Überprüfen gekommen“, erwiderte der Volkskontrolleur kurz und dachte wieder über das schreckliche Schicksal der im Eis erstarrten Männer nach.
    „Und was wird der Russe Dobrynin überprüfen?“
    „Ich habe das Recht, alles zu überprüfen: die Arbeit, das Leben, die Ordnung …“
    „Aaah …“, zog Waplach in die Länge. „Einer der Toten ist auch zum Überprüfen hergekommen. Ich habe ein bisschen was bei einem Gespräch mitgehört. Sie haben sich wegen der Japaner gestritten …“
    „Wegen welcher Japaner?“ Dobrynin spitzte die Ohren.
    „Na die, die die Parteibeiträge abholen“, antwortete der Urku-Jemze. „Dieser Russe wollte sie sehen, aber der Russe Kriwizkij sagte, dass es hier keine Japaner gäbe.“
    „Was denn nun, gibt es hier welche oder nicht?“, fragte Dobrynin sehr ernst.
    „Hier gibt es keine, aber sie kommen die Parteibeiträge abholen. Ich habe es selbst gesehen. Sie fahren mit einer Schneemaschine zum Speicher, laden alle Felle auf, dann übergeben sie dem Russen Kriwizkij irgendein Kästchen, verbeugen sich und fahren weg bis zum nächsten Mal.
    Da sieh mal einer an!, dachte Dobrynin und wurde noch verdrossener.
    Er hatte keinesfalls erwartet, dass er hier im hohen Norden mit einer solchen Unordnung zu tun bekommen würde, die man noch nicht einmal so nennen konnte, denn in der Tat sah alles noch weit ernster aus.
    Das alles war ein schreckliches Verbrechen und der Verbrecher war der leitende Kommunist der Stadt Chulajba. Dieser Gedanke erschreckte Dobrynin, sein gerechter Zorn war allerdings stärker als der Schreck, und nachdem er weiter überlegt hatte, verstand der Volkskontrolleur, dass ein Kommunist kein Verbrecher sein konnte, was bedeutete, dass man Kriwizkij nicht als Mitglied der Partei Lenins gelten lassen durfte. Es war ganz undenkbar, dass Kriwizkij und Genosse Kalinin derselben Partei

Weitere Kostenlose Bücher