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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Gesicht, von Sommersprossen übersät, die man sogar durch das Eis sehen konnte, war in einem flehenden Ausdruck erstarrt.
    „Diesen hat Waplach auch in Chulajba gesehen“, sprach der Urku-Jemze.
    Dobrynin hatte es den Atem verschlagen, und ihm waren unwillkürlich Tränen aufgestiegen, aber sogleich schmerzten und brannten ihm die Augen, weil die Tränen gefroren waren und nun kratzten.
    „Der Russe Kriwizkij hat sie zum Sterben hierhergeschickt …“, sagte Waplach mit trauriger Stimme. „Sie haben sich mit dem Russen Kriwizkij ein wenig gestritten.“
    Ein schrecklicher Verdacht beschlich Dobrynin, während er die beiden im Eis eingeschlossenen Männer ansah: Hatte ihn etwa der gleiche Tod erwartet? Hat ihn der Kommunist Kriwizkij etwa aus irgendeinem Grund umbringen wollen?
    „Der Russe Dobrynin kann unmöglich nach Chulajba zurückkehren“, sagte Waplach und sah dem Volkskontrolleur respektvoll in die Augen.
    „Und wo soll ich hin?“, fragte Dobrynin fassungslos und buchstäblich in Furcht um sein Leben.
    „Waplach hat ganz in der Nähe ein gutes Zelt mit Ofen … es ist warm und es gibt etwas zu essen …“
    Dobrynin wandte sich von den im Eis erstarrten Männern ab und versuchte, sich zusammenzureißen und alles ernsthaft zu überdenken, aber ihm wollte nichts einfallen. Die Angst, die den Volkskontrolleur im Innersten umklammert hielt, verließ ihn nicht. So saß er also da, starrte mit traurigem Blick in den nichtssagenden Schnee, nur um das ganze Ausmaß des Grauens nicht sehen zu müssen, das ihm das Bild im Eis unter ihm geboten hatte.
    „Der Russe Dobrynin soll mit mir kommen“, rief der Urku-Jemze, kam näher und blieb vor dem Volkskontrolleur stehen.
    „Nein“, sagte Dobrynin und ballte die Hände zu Fäusten. In ihm stieg Wut auf, die das Gefühl von Angst und Hilflosigkeit verdrängte. „Das muss geklärt werden …“, sagte Pawel langsam, aber seine Stimme klang schon anders, entschiedener. „Es muss geprüft werden, warum sie umgekommen sind … und aus welchem Anlass.“
    Dobrynin nahm den Sack von seiner Schulter, holte die Axt daraus hervor und hieb mit Schwung ins Eis direkt oberhalb des Kopfes von dem Mann mit der gelben Aktentasche.
    „Wir müssen sie doch auf anständige Art begraben“, meinte Dobrynin, während er das Eis mit dem schweren Werkzeug zersplitterte, „entweder in einem Sarg oder in einer Truhe, sie wenigstens ins Lager überführen, wie Menschen …“
    Unter den Hieben der Axt splitterten Eisstückchen ab, jedoch der Widerstand des Eises war groß. Dobrynin hatte innegehalten, um Atem zu holen, weil er schon fühlte, wie seine Arme ermüdeten, als er sah, dass er ein Loch von der Tiefe einer Zündholzschachtel herausgeschlagen hatte. Er begriff, dass es ihm nicht gelingen würde, die Verstorbenen aus ihrer eisigen Gefangenschaft zu befreien. Wieder ergriff ihn Bestürzung, allerdings nicht mehr Angst, sondern eine unbegreifliche Kränkung wie bei einem Kind. Er blickte auf die gelbe Aktentasche und dachte, dass er wenigstens diese aus dem Eis herausschlagen musste, da sie möglicherweise Dokumente und Unterlagen enthielt.
    Dobrynin machte sich also daran, mit der Axt auf das harte Eis oberhalb der Aktentasche einzuschlagen.
    Waplach hatte sich ein paar Schritte weit entfernt und beobachtete von dort aus Dobrynin, der mit dem schweren und scharfen Werkzeug und mit neuer Kraft das Eis zerhackte. Dabei sagte er etwas Böses und für den Urku-Jemzen Unverständliches, was aber dem Tonfall nach der Beschwörung des bösen Geistes Kappa sehr ähnlich war.
    „He, Waplach, hilf mir!“, rief Pawel, als er nach einiger Zeit innehielt.
    Der Urku-Jemze kam näher und sah, dass der Volkskontrolleur das ganze Eis oberhalb der Aktentasche und seitlich auch ein wenig davon weggehackt hatte, sodass das Eis die Tasche nur noch von unten hielt. Aber Dobrynin, der mit Sicherheit schon ordentlich müde war, konnte die Tasche nicht allein aus dem Eisloch reißen.
    Gemeinsam packten sie die Tasche und zerrten mit vier Händen daran.
    „So, noch einmal!“, kommandierte Dobrynin. „Und noch einmal!!“
    Nach einigen Versuchen gab die Aktentasche schließlich nach und mit einem Knacken rissen Dobrynin und Waplach sie von der unteren Eisschicht los.
    Der Volkskontrolleur öffnete sie sogleich, steckte seine Hand hinein, zog sie aber sofort wieder heraus und bemerkte:
    „Alles zugefroren …“
    „Wir müssen sie am Herd wärmen, dann taut sie auf“, schlug der Urku-Jemze

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