Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
jakutischen Stadt Chulajba. Der Mord wurde von Genosse Kriwizkij in Auftrag gegeben, der zur Unterstützung des Genossen Schenderowitsch abgesandt worden ist und der in eine Verschwörung mit japanischen Imperialisten verwickelt ist. Es gibt auch Grund zur Annahme, dass Genosse Kriwizkij schuld ist am mysteriösen Verschwinden des gesamten nordischen Volkes der Urku-Jemzen, das sich durch einen hohen Bildungsgrad auszeichnet und bei dem jeder Einzelne gut Russisch spricht. Dieses Volk ist nach dem Mord an Genosse Schenderowitsch spurlos verschwunden. Vor seinem Verschwinden zählte das Volk der Urku-Jemzen laut Aussagen Einheimischer anderer Volkszugehörigkeiten hundertzwanzig Menschen inklusive Frauen und Kinder. Ich halte es für unumgänglich, eine Spezialkommission hierherzusenden zur vollständigen Aufklärung der von Genosse Kriwizkij und seinen Handlangern vollzogenen Verbrechen. Unterschrift:
Jegorow Jegor Fjodorowitsch, Volkskontrolleur der Sowjetunion.“
Da haben wir’s!, dachte Dobrynin besorgt, als er zu Ende gelesen hatte. So verfährt man hier also mit Volkskontrolleuren … Und Dobrynin war zum Weinen zumute, aber nicht klagend wie eine Frau, sondern so wie echte Bolschewiken auf dem Begräbnis ihrer Genossen weinen – ohne Tränen und lautlos, ein innerliches Weinen, das das Leid mit jedem Tropfen seines Blutes fühlt. Und es überkam ihn die Lust, sich zu betrinken, aber Dobrynin vermochte diesen Wunsch zu unterdrücken. Wieder dachte er daran, dass man Kriwizkij vor Gericht bringen musste und zwar in aller Öffentlichkeit. Und wieder kam die Frage auf: Wie? Und vor welches Gericht?
Angesichts seiner Hilflosigkeit biss sich Pawel auf die Lippen und schmeckte auf der Zunge den Geschmack seines eigenen Blutes.
Das Flechtenfeuer prasselte gemächlich und fröhlich vor sich hin.
Da näherte sich jemand dem Zelt – das Knirschen des lockeren Schnees war zu hören.
Erwartungsvoll blickte Dobrynin zum niedrigen Eingang der Behausung, der zwei- oder dreifach mit Rentierfellen verhängt war.
Sie traten zu zweit ein – Waplach und Kriwizkijs Stellvertreter Abunajka. Der Alte verbeugte sich höflich vor dem Volkskontrolleur.
„Ich begrüße dein glattes Gesicht und deine Weisheit!“, sagte er und ließ sich neben Dobrynin auf dem weichen, pelzigen Boden nieder. „Urku-Jemze Waplach hat mir viel erzählt … und Russe Kriwizkij hat eben erst gesagt: Weit gereister Gast ist im Fluss ertrunken. Ich dachte – ein Unglück, aber Waplach kommt und holt mich hierher …“
„Ja …“, sagte Dobrynin und unterbrach die unzusammenhängende Rede des Alten. „Waplach hat gesagt, dass Sie ein kluger Mann sind. Wissen Sie, was Kriwizkij für ein Mensch ist?!“
„Abunajka ist klug“, nickte der Alte. „Abunajka kennt schlechten Russen Kriwizkij, Abunajka weiß von Japanern, Abunajka weiß viel …“
„Aber warum wusste Genosse Abunajka Bescheid über diese Gesetzwidrigkeiten und hat nichts getan?“, fragte der Volkskontrolleur streng.
„Und was hätte Abunajka tun können? Abunajka ist nicht stark, sondern alt und kein Russe. Es muss Russe kommen und Russen bestrafen, aber Abunajka kann nicht sagen, dass Russe schlecht ist, niemand glaubt Abunajka …“
„Ist schon gut.“ Dobrynin winkte ab, erschöpft vom Wortschwall des Alten. „Sagen Sie, Genosse Abunajka, gibt es hier ein eigenes Gericht?“
„Gericht?“, erwiderte der Alte.
„Ja, wenn jemand etwas stiehlt oder jemanden tötet, bestraft ihr ihn dann?“
„Jaaa …“, antwortete der Alte.
„Heißt das, dass es Regeln dafür gibt und Sie wissen, wie bestraft wird?“, verdeutlichte Pawel.
„Natürlich, Abunajka weiß es!“, bestätigte der Alte.
„Dann kann euer Gericht auch Kriwizkij bestrafen?“, fragte Dobrynin und blickte dem Alten direkt in die Augen.
Abunajka überlegte, fuhr mit seiner trockenen, gelblichen Hand zu seinem Mund und berührte damit seinen spitzen, kurzen Bart.
„Wahrscheinlich ist es möglich“, meinte er schließlich.
„Na dann, ergreift ihn und richtet über ihn!“, erwiderte Dobrynin im Befehlston.
„Abunajka geht zu Volk, wird Gericht vorbereiten und Russe Dobrynin wird zu Gericht geholt!“
Der Alte stand auf, verbeugte sich vor dem Kontrolleur und ging fort.
„Der Russe hat noch nicht gegessen?“, fragte Waplach. „Er muss essen, sonst wird ihm kalt …“
„Also gut, gib schon her“, seufzte Pawel müde. Der Urku-Jemze nahm den Kessel vom Ofen, leerte Suppe in zwei
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