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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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darum, ob man junge Stiere kastrieren solle, um aus ihnen bessere Zugkraft zu gewinnen.
    In dieser Nacht schliefen die Siedler bereits auf echten Holzbänken, allerdings waren sie hart und ohne Bettzeug, also ohne Unterlage aus Heu oder Gras, und so krochen viele von ihnen spät in der Nacht, als der Ofen schon erloschen und alles von Schnarchen erfüllt war, heimlich auf den weichen Erdboden hinunter und schliefen schließlich dort ein, nachdem sie sich ein wenig herumgewälzt hatten. Viele mussten überhaupt auf dem Boden schlafen, da sich in dieser Nacht alle in dem einen Stall zusammendrängten. Die anderen Ställe waren unbewohnt, weil es noch keine Lehmöfen darin gab.
    Aber schon bald errichtete Sachar unter der Mithilfe von anderen Männern auch in den restlichen Ställen Öfen, sogar in den Ställen, die für das Vieh bestimmt waren, mit der Begründung, dass das Vieh ebenso wie der Mensch Wärme und Zärtlichkeit liebe, und wenn dies fehle, dann verende es umso leichter.
    Auf dem Hügel und ringsum wurde unaufhörlich gearbeitet. Es gab niemanden, der sich aus Faulheit oder aus einem anderen Grund vor der Arbeit zu drücken versuchte. Allenfalls Archipka-Stepan schlenderte herum und dachte die ganze Zeit nach, aber das war schließlich auch Arbeit, ja sogar noch schwierigere als die der anderen, da sie dem Kopf große Anstrengung abverlangte und nicht jeder zu so einer Anstrengung fähig war.
    Die Bauern säten bereits aus, und nachdem sich der bucklige Buchhalter einen Gehilfen ausgesucht und aus drei Stäben ein Vermessungsgerät gebaut hatte, vermaß er, wie viel Boden ihnen allen insgesamt zur Verfügung stand, damit er sich mit dessen optimaler Nutzung auseinandersetzen konnte. Für alle Fälle vermaß er auch den Friedhof und musste dabei den Kopf schütteln – der Friedhof nahm viel Bodenfläche ein.
    Die Rotarmisten beschlossen, dass es noch anderes zu essen geben müsse, und so nahmen sie die Gewehre und gingen in den alten, dichten Wald, der hinter dem Fluss begann. Im Laufe des Tages waren von dort Schüsse zu vernehmen, aber diese jagten niemandem Angst ein, da alle wussten, dass es sich um friedliche Schüsse handelte. Und je mehr davon fielen, um so reicher würde das Abendessen ausfallen und vielleicht auch noch das Frühstück! Und daher fanden sogar die Bauersfrauen Gefallen an der Knallerei, die aus dem Wald herüberschallte.
    Der Engel, der den Frauen half, bekundete keinerlei Freude über die Schüsse, stattdessen grübelte er über Verschiedenes nach, so natürlich auch über die Menschen, die Siedler, mit denen er hierhergekommen war, um ein gerechtes und glückliches Leben zu führen. Im Grunde verlief ja alles gut, die Siedler waren glücklich und er war auch froh, aber vieles an diesem menschlichen Leben verwirrte ihn, obwohl auch einiges leicht zu erklären war: Offenbar hatten diese Menschen über Generationen nach solchen Gesetzen gelebt, anders war es ihnen gar nicht möglich. Um etwas zu essen, musste jemand umgebracht werden: ein Fisch, ein Hase oder eine Kuh. Was machte das schon aus?! Nichts außer unangenehmen Gedanken. Schließlich waren sie Menschen und keine Engel, die einfach und spartanisch lebten. Auch war ihr Leben doch um ein Vielfaches schwieriger und grausamer als das Leben im Paradies. Selbst das Wetter war hier anders, es gab andere Gesetze, und Steine fielen vom Himmel, und bestimmt gab es noch viele andere Gefahren. So ließ sich der Engel in seinen Überlegungen leicht vom Unangenehmen ablenken, und rechtfertigte ebenso leicht alles am Leben der Menschen, was ihm nicht gefiel.
    Er ging also vom Fluss hinauf, mit zwei Eimern in Händen, die mit Wasser gefüllt waren. Er ging nun schon zum gut dreißigsten Mal, und eine angenehme Erschöpfung breitete sich über seine Schultern aus. Seine Arme schienen von der Anstrengung kräftig zu werden und manchmal hörte er sogar auf, sich als Engel zu fühlen, und in ihm erwachte etwas anderes, etwas Russisches. In manchen Momenten kam es ihm so vor, als würde in ihm eine enorme Kraft stecken, mit deren Hilfe er den Fluss ganz allein aufstauen, den Hügel einebnen und noch vieles mehr – Nützliches als auch Sinnloses – tun könne. Von all dem jedoch, was sich da in ihm regte – vermutlich aus Erschöpfung und aufgrund der Arbeit, die für ihn fremd war –, war der Wunsch am schrecklichsten, der Lehrerin Katja zu gefallen, die sich von allen Frauen im Neuen Gelobten Land nicht nur durch ihr Äußeres unterschied,

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