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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Man beschloss, in jedem Stall für Menschen drei Öfen aufzustellen. Bei den Bauarbeiten fand sich noch ein Rohrblech, aus dem sie ein Rauchfangrohr formten, und gegen Abend wurde bereits der erste Ofen angeheizt, aber nicht wegen der Wärme, sondern um ihn mit dem Feuer von innen abzuhärten – Lehm war schließlich nicht Ziegelstein. Vor dem Schlafengehen schon feierten die müden Siedler den ersten rauchenden Ofen, und als sie in ihrem Stall im Halbdunkel der fensterlosen Behausung saßen, waren sie ihres Lebens wieder froh. Krüge mit Selbstgebranntem gingen von Hand zu Hand, aber nicht jeder probierte davon. Die jedoch, die ihn probierten, stöhnten laut auf und tasteten sogleich nach etwas, was man dazu essen könne. Wenn sie aber nichts fanden, verdross sie das nicht, denn die allgemeine Stimmung war außergewöhnlich fröhlich und jeder war jedermanns Bruder oder Schwester.
    Der Engel saß neben Katja und blickte auf das Holz, das im Lehmofen brannte. Er schwieg. Auch Katja schwieg, wenn sie auch nichts gegen ein Gespräch gehabt hätte, aber der Engel schien ihr kein guter Gesprächspartner zu sein, da er nicht gerade redselig war und so manche direkte Frage von ihr überhaupt nicht beantwortete, obwohl er kluge Augen hatte. Zwar hätten sich hier viele gefunden, die gerne mit Katja gesprochen hätten – zum Beispiel der bucklige Buchhalter –, aber sie alle waren ungehobelte Menschen. Von diesem schweigsamen Engel jedoch ging eine gütige, menschliche Wärme aus, die Katja in ihren Bann zog.
    „Also, wo hast du früher gewohnt?“, fragte sie ihn leise und machte damit ihr Vorhaben zunichte, das Gespräch nicht von sich aus zu beginnen.
    „Im Paradies …“
    Katja biss sich auf die Lippen. Diese Antwort war ihr unangenehm, denn sie stand im Widerspruch zu ihren Gedanken und Überzeugungen. Aber da entdeckte sie ein neues Gefühl in sich – sie spürte, dass sie vollkommen ruhig bleiben konnte bei der Antwort dieses seltsamen Menschen, der sich in Zeiten des weltweiten Atheismus als Engel bezeichnete. Und für sich selbst völlig unerwartet fragte sie ihn wieder:
    „Und wie lebt man dort?“
    „Gut“, antwortete der Engel, während er das Feuer im Ofen anstarrte.
    „Und was gibt es dort Gutes?“, drang Katja weiter.
    „Es gibt keine Kriege, alle lieben einander … viele Früchte … die Luft ist so rein, fast süß … das ganze Jahr über ist es warm …“
    „Und wenn es dort so schön ist, warum bist du dann hierhergekommen? Hm?“, fragte die hellblonde Lehrerin nicht ohne ein wenig Gehässigkeit.
    Der Engel zuckte die Achseln. Er schwieg ein paar Minuten.
    „Aus Neugier …“, gestand er. „Es kam mir seltsam vor, dass aus diesem Land niemand nach dem Tod ins Paradies gelangt.“
    „Was meinst du damit?“
    „Das bedeutet, dass alle schreckliche Sünder sind“, erklärte er.
    „Bei uns?! Sünder?!“, empörte sich Katja leise, aber gleich darauf veränderte sich ihre Stimme wieder, und, ruhig geworden, sagte sie bestimmt:
    „Aber sie kommen nicht ins Paradies, weil es das Paradies nicht gibt!“
    „Und die Hölle gibt es?“, fragte der Engel.
    „Auch die Hölle gibt es nicht!“
    „Und wohin kommen sie dann nach dem Tod?“
    „Na in die Erde! Wir begraben sie, sie zerfallen in der Erde und helfen bei der Bildung der Schwarzerde.“
    „Nein“, entgegnete der Engel ruhig. „Du sprichst hier vom Körper und ich von etwas anderem – von der Seele. Ihr begrabt doch nicht die Seele!“
    „Nein, natürlich nicht, wie soll man sie denn begraben, wenn es sie gar nicht gibt!“, stimmte ihm Katja zu.
    Jemand drückte dem Engel einen Krug in die Hand. Der Engel hob ihn hoch und roch daran, aber von dem grauenvollen Geruch drehte sich ihm der Magen um. Er reichte den Krug im Halbdunkel weiter, den ihm irgendeine Hand abnahm.
    „Aber wenn es die Seele nicht gibt, wie kann man dann sprechen, denken, lieben?“
    Da zögerte Katja kurz.
    „Aber braucht man dafür etwa eine Seele?“, fragte sie nach einem Augenblick. „Wir sprechen doch mit dem Mund, und der ist ein Teil des Körpers. Wir denken mit dem Kopf – und der ist ebenfalls ein Teil des Körpers und zwar ein sehr wichtiger … und wir lieben … dafür hat auch jeder einen Körperteil … Wozu braucht man da eine Seele?“
    Darauf antwortete der Engel nicht.
    Neben ihnen sprach noch jemand. Eine männliche und eine weibliche Stimme waren zu hören. Sie führten ein sehr lebhaftes Gespräch und es ging im Großen und Ganzen

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