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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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nicht gegessen, auch wenn sie eine Nationalsuppe gewesen wäre. Aber vielleicht hätte ich sie doch gegessen. Wer weiß? Schließlich habe ich im Norden eine Sülze gegessen, die aus einem gewissen Organ des Rentiers gemacht wird, du weißt schon …“
    „Ach was!“, rief der Hausmeister aus. „So etwas isst man dort?!“
    „Ja“, nickte Dobrynin. „Aber da es ein Nationalgericht ist, muss man es auf jeden Fall essen, ganz gleich, ob man es mag oder nicht …“
    Dobrynin verstummte, ohne den Satz zu beenden, da er in seinen Gedanken etwas durcheinandergekommen war und nun begriff, dass Lenin, wäre er jetzt hier an seiner Stelle, auch diese Suppe gegessen hätte und vielleicht sogar noch darum gebeten, sich nachnehmen zu dürfen, nur damit die Hausfrau oder die Person, die den Fraß gekocht hatte, sich nicht kränken möge. Und der Volkskontrolleur wurde traurig darüber und zugleich wütend auf sich und seine Schwäche.
    „Lass uns trinken, ja?“, bat der Hausmeister, der sein bis zum Rand gefülltes Glas lange genug in der Hand gehalten hatte.
    „In Ordnung!“ Dobrynin war einverstanden und zog mit der linken Hand die vorher abgelehnte Suppe mit Entschiedenheit zu sich. „Auf das Vaterland!“, sprach Pawel Aleksandrowitsch, und in seiner Stimme schwang die Wut auf sich selbst mit.
    Nachdem er sein Glas ausgetrunken hatte, gab er sich einen Ruck und nach wenigen Minuten war in der Schüssel keine Suppe mehr übrig.
    Der Hausmeister sah ihn erstaunt an. Er hatte etwas sagen wollen, aber das Wort war ihm im Hals stecken geblieben. Also räusperte sich Wasja nur leise und schwieg. Als aber Dobrynin nun auch noch die inzwischen kalte Hauptspeise, die er vorhin gleichfalls abgelehnt hatte, zu sich heranzog, stand der Hausmeister auf, murmelte eine Entschuldigung und ging.
    Vielleicht war es besser so – offenbar hatte er fühlen können, wie in Dobrynins Innerem die Wut angewachsen war –, aber er wusste ja nicht, dass der Volkskontrolleur nur auf sich selbst wütend war und also keinerlei Gefahr für seine Umwelt darstellte.
    Nachdem der Hausmeister sich aus der Wohnung davongemacht hatte, trank Dobrynin den Wodka aus, und sodann auch den süßen Fruchtsaft, der Teil des Abendessens war. Hierauf ging er in sein Arbeitszimmer, in dem das sanfte Licht der Tischlampe durch den grünen Lampenschirm schien.
    Der Volkskontrolleur setzte sich an den Tisch, schlug das geliebte Buch auf und versuchte erneut, die nächste Erzählung zu lesen, aber auch jetzt kam nichts dabei heraus. Die Wörter waren leicht zu lesen, aber in Dobrynins Kopf wollte nichts hängen bleiben, und so sah sich der Volkskontrolleur gezwungen, das Buch zuzuklappen und, nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte, ins Schlafzimmer zu gehen.
    Das breite Bett kam ihm dieses Mal zu groß und ungemütlich vor, und Dobrynin wälzte sich trotz seiner Müdigkeit noch zwei Stunden lang hin und her, bevor er endlich einschlafen konnte.
    Am Morgen weckte ihn ein beharrliches Klingeln an der Tür. Mit Mühe stand Dobrynin aus dem Bett auf, ging in den Flur, entriegelte das Schloss und entdeckte auf dem Stiegenabsatz Viktor Stepanowitsch, der auch noch verschlafen, aber fest auf den Beinen stand.
    „Entschuldigen Sie, dass ich so früh gekommen bin“, sagte Viktor Stepanowitsch. „Man hat es so angeordnet, Pawel Aleksandrowitsch. Genosse Kalinin erwartet uns.“
    Dobrynin nickte und ging, um sich anzuziehen.
    Nach etwa drei Minuten verließ er angekleidet und mit dem Reisesack in der Hand die Wohnung.
    „Aber lassen Sie den doch hier“, sagte Viktor Stepanowitsch, als er den Sack sah. „Sie kommen nach dem Kreml doch hierher zurück!“
    „Da ist etwas für Genosse Kalinin drin“, entgegnete der Volkskontrolleur, ohne ins Detail zu gehen.
    Das Wetter war immer noch trübe. Eisregen klebte an den Fensterscheiben des Wagens fest. Die unermüdlichen Scheibenwischer ermöglichten dem Fahrer und den übrigen Insassen zwar die freie Sicht nach vorn, durch die Seitenscheiben aber konnte man außer diffuser Dunkelheit nichts erkennen. Die Straßenlaternen brannten noch immer und bemühten sich, die verspätete Morgendämmerung zu beschleunigen.
    Von Zeit zu Zeit gähnte der Fahrer. Jedes Mal, wenn er gähnte, musste auch der neben ihm sitzende Viktor Stepanowitsch gähnen. Pawel Aleksandrowitsch hingegen, der hinter dem Fahrer saß, fühlte sich trotz des Wetters und obwohl er so unerwartet früh geweckt worden war, schon ziemlich munter.
    Bevor der Wagen

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