Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
untermalte seine Worte mit vielen Gesten.
    Die Arbeiter nickten verständig.
    Mark schaute hinter der Kulisse hervor – die Gesichter der Zuschauer gefielen ihm.
    „Also, toi, toi, toi!“, flüsterte der Künstler sich selbst zu und betrat mit dem Papagei auf der Schulter die Bühne.
    Das von Isa Ajsamow vorbereitete Publikum richtete seine Aufmerksamkeit auf den Künstler.
    Mark berührte mit dem Finger das Mikrofon – die Technik funktionierte.
    Er rückte es so zurecht, dass sich der glänzende, vergitterte Kopf des Mikrofons vor dem Schnabel des Vogels befand.
    „Also, Kusma, trag vor!“, sagte Mark, warf den Kopf zurück und wandte sich ab.
    Jemand verstärkte das Licht auf der Bühne.
    Nach alter Gewohnheit krächzte der Papagei zuerst etwas in das Mikrofon, drehte dann den Schnabel weg, indem er mit einem Auge einen Blick auf seinen Herrn warf. Und schließlich ertönte seine seltsame, etwas schnarrende Stimme im Saal:
    „ ... Hinter dem Heck peitscht das Wasser – salzig und grün, schießt plötzlich empor, bäumt sich auf und das Schaukeln treibt Wogen über das Kaspische Meer ...“
    Ein Lächeln erschien auf Marks Gesicht. Das Lächeln eines glücklichen Menschen. Nicht schiefgegangen, dachte er. Sehr gut. So müsste man es wohl auch weiterhin machen: Zwei Tage vor dem Auftritt lernen.
    Im Saal blickte man den Vogel mit weit geöffneten Augen an.
    Mark kniff wegen der allzu hellen Beleuchtung die Augen zusammen.
    Morgen musste er nach Kiew fahren. Die Reise würde zwei oder vielleicht sogar drei Tage dauern.
    Im Zug würden sie ein Gedicht über die Ukraine einstudieren.
    Drei Strophen auf Ukrainisch.
    Gut, dass er für heute nichts hatte auf Aserbaidschanisch lernen müssen!
    „... Allein und ruhig bin ich“, fuhr Kusma fort, „und spöttisch zwink’re ich dann. Was kann er sein für mich – dieser Kaspische Ozean? ...“
    „Na, was für ein Kerl“, dachte Mark über den Papagei. „Gut gemacht. Also doch kein Dummkopf … Schüler können gar nicht so viel auswendig lernen!“
    Die Schulter, in die sich der Papagei mit seinen kräftigen Klauen gekrallt hatte, schmerzte.
    Ich werde ihm beibringen müssen, bei den Auftritten abzuwechseln, einmal auf der linken Schulter zu sitzen und das nächste Mal wieder auf der rechten, dachte Mark. Jetzt ist er an die rechte gewöhnt und martert sie ohne Ende. Ich muss einmal in den Spiegel schauen, vielleicht habe ich schon meine gerade Haltung verloren …
    „ … Wie Hagel fallen sie, die Sterne, und meinen: Wird Zeit, dass du schlafen gehst … Ich sehe ein schaukelndes Haus in der Ferne. Zum Teufel nochmal, ich schwanke doch selbst …“
    Nachdem der Papagei die letzten Zeilen des Gedichtes vorgetragen hatte, machte Mark einen halben Schritt nach rechts, beugte sich zum Mikrofon und gab bekannt:
    „Sehr verehrte Genossen, sie hörten das Gedicht ‚Schaukeln auf dem Kaspischen Meer‘ von Boris Kornilow.“
    Schweigen im Saal.
    Mark wurde nervös. Wollen sie etwa nicht applaudieren?, dachte er.
    Die Grabesstille der schweigenden Arbeiter wurde für den Künstler unerträglich.
    Wegen der hellen Bühnenbeleuchtung konnte er den Gesichtsausdruck der Arbeiter nicht gut erkennen.
    Er hielt die rechte Hand wie einen Schild über der Stirn. Die erste Reihe wurde sichtbar – Ingenieure, Direktoren. Nein, Unzufriedenheit war nicht erkennbar. Stattdessen: offene Münder.
    Mark konnte nicht länger auf der Bühne stehenbleiben. Er machte einen Schritt zurück und verbeugte sich leicht. Dann verbeugte sich auch Kusma, wie er es gelernt hatte und indem er seine Krallen noch fester in die Schulter drückte.
    Sie gingen hinter die Kulisse.
    Der Parteisekretär Ajsamow kam auf ihn zu.
    „Bravo! Alle Achtung!“, sagte er lächelnd. Mark blickte ihn misstrauisch an.
    „Und warum schweigt das Publikum?“, fragte er.
    „Wie, es schweigt? Warum, es schweigt? Verblüfft sind alle! Ein Vogel trägt Gedichte vor!“ Mit jedem Satz zeigte die Stimme des Parteisekretärs mehr Begeisterung. „Ein Vogel trägt Gedichte vor, das bedeutet, er hat sie erlernt! Aber ein Arbeiter einer Erdölleitung liest nicht, da er ein Analphabet ist! Jetzt werden alle nachdenken. Jetzt werden sie sich schämen, nicht in die Abendschule für Arbeiter zu gehen, um Lesen und Schreiben zu lernen!“
    Mark beruhigte sich.
    „Nun, Genosse Künstler, gehen Sie in das Büro des Direktors, er möchte Ihnen etwas sagen und dann gibt es ein kleines Bankett, in Ordnung?!“
    Im zweiten Stock

Weitere Kostenlose Bücher