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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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befanden sich zehn Menschen im Büro des Direktors, hauptsächlich Personen aus der ersten Reihe – Mark erkannte sie wieder.
    Der Direktor schüttelte dem Künstler die Hand und streichelte den Papagei.
    „Wir wollen Ihnen hier den Unterschied zeigen!“, sagte der Direktor mit starkem Akzent und lenkte den Blick seines Gastes mit einer Handbewegung zum Tisch, wo zwei Glaskolben zu je einem Liter mit weiten Hälsen standen, die bis zum Rand mit Erdöl gefüllt waren, wie Mark sofort erriet.
    „Das hier“, berührte der Direktor einen der beiden mit der Hand, „ist hier unser eigenes, aus Baku, und das hier kommt von den Nachbarn, aus dem Iran. Achten Sie auf das Licht!“
    Und er hob beide Kolben auf Augenhöhe des Künstlers, der gegenüber von einem breiten Fenster stand.
    Mark versuchte, sie zu vergleichen, aber die Flüssigkeiten kamen ihm gleich trübe vor.
    „Sehen Sie, welches gesättigter und reichhaltiger ist?“, wollte der Direktor wissen.
    „Ach ja“, stimmte Mark eifrig zu und dachte, dass das genügen würde.
    „Natürlich!“, lächelte der Direktor. „Soviel zur Farbe. Und jetzt“, mit diesen Worten stellte der Direktor die Kolben wieder auf den Tisch vor den Künstler, „und jetzt sag mal, welches im Geschmack reichhaltiger ist, ja?“
    Und der Direktor griff unerwartet heftig Marks Hand, tauchte seinen Zeigefinger in das Erdöl des linken Kolbens und steckte ihn Mark höchstpersönlich in den Mund.
    Der Künstler hätte sich vor Überraschung beinahe verschluckt. Der abscheuliche, faulige Geschmack ließ ihn das Gesicht verziehen, aber da er seine Gastgeber nicht beleidigen wollte, setzte Mark mit großer Willenskraft wieder einen normalen Gesichtsausdruck auf.
    „ … und jetzt nehmen wir mit dem Finger der anderen Hand etwas von hier!“ Und er wiederholte das Gleiche nun mit Iwanows rechter Hand.
    In Mark zog sich alles zusammen. Der Geschmack des Erdöls aus dem zweiten Kolben war gleichermaßen abscheulich.
    „Nun, Genosse Künstler, sag, welches ist das bessere Erdöl?“, fragte der Direktor.
    Mark konzentrierte sich wieder, drängte das unangenehme Gefühl zurück, aber er konnte sich einfach nicht erinnern, in welchem Kolben sich das Öl aus Baku befand.
    „Na schön, wir verzeihen dir, bist halt kein Experte“, ließ der Direktor Gnade walten.
    Die übrigen Anwesenden schwiegen herablassend.
    „Erlaub uns, dir zum Andenken an deine Reise in unsere bemerkenswerte Stadt dieses Souvenir hier zu schenken!“, sprach der Direktor und gab Mark einen zugelöteten Ein-Liter-Kolben mit Erdöl, den ihm einer seiner Untergebenen gereicht hatte. Auf dem Glas des Kolbens stand mit goldenen Buchstaben „Zum Andenken an Baku“ geschrieben. Über diesen Worten kreisten zwei goldene Möwen und der obere Teil des Kolbens erinnerte an einen Leuchtturm.
    Jetzt endlich ertönte Applaus, und trotz des scheußlichen Geschmacks im Mund entspannte sich Mark und lächelte.
    * * *
    „Du wirst allein nach Kiew fahren!“ Auf dem Weg zum Bahnhof konnte der Parteisekretär Mark eine Freude bereiten. „Erste Klasse! Na?“
    „Danke!“, nickte Mark.
    „Weißt du, der Direktor wollte dir den Vogel abkaufen. Er hat mich um Rat gefragt, aber als Kommunist habe ich ihm ehrlich gesagt: ‚Solche Vögel darf man nicht kaufen oder verkaufen, sie müssen dem ganzen Volk gehören!‘ Hab ich nicht recht?“
    Mark nickte wieder.
    Isa Ajsamow küsste den Künstler zum Abschied.
    Vor dem Fenster des Abteils war es noch hell. Manchmal erschien plötzlich das Meer und Mark betrachtete es begierig. Ein Segel, Möwen im Flug, die Freiheit, fremde, weit entfernte Ufer – all diese Bilder wühlten ihn auf, ließen ihn zu einem kleinen Jungen werden.
    Kusma saß im Käfig und sah ebenfalls aus dem Fenster.
    Als es dunkel wurde, schaltete Mark das Licht ein. Er beschloss, sich umzuziehen und das Rasiermesser und das Rasierwasser herauszuholen. Dazu legte er den Koffer auf den freien Diwan daneben und öffnete ihn. Seine Sachen hatte er unmittelbar vor der Abreise gepackt – da hatte ihm der Kopf noch vom Bankett wehgetan, und so musste er nun alles umpacken, um die benötigten Sachen zu finden.
    Aha, hier war der Pyjama! Mark nahm ihn in die Hand – er war ungewohnt schwer. Als er begann, ihn in der Luft auseinanderzuwickeln, fiel der geschenkte Glaskolben mit dem Erdöl aus Baku auf den mit einem orientalischen Teppich bedeckten Boden.
    Mark erstarrte. Er sah nach unten. Die Glasscherben glitzerten und vor

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