Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
betrachtete ihn, während er das grobe Schwarzbrot aus den bäuerlichen Vorräten kaute, das zäh und hart war und so gebacken, dass man es zwei Wochen lang essen konnte. Dabei dachte er über das Glück nach und versuchte eine betörende und unbescheidene Vorstellung zu verdrängen, ein sehnsüchtiges Bild seiner Fantasie, das zeigte, wie er mit der Lehrerin Katja in die Paradiespforten eintrat. Er drängte dieses Bild jedoch immer weiter zurück und verjagte es schließlich gänzlich, da ihm zugleich einfiel, dass diese betörende Vorstellung für Katja nichts Gutes bedeuten würde. Denn damit sie so schön, wie sie jetzt war, mit ihm die Paradiespforten durchschritt, müsste dieses hellblonde Mädchen jung sterben und könnte das Ausmaß eines ganzen Erdenlebens nicht erfahren. Und als er das begriffen hatte, erschrak der Engel vor seinen Gedanken, wünschte Katja ein langes Leben und versank in Gedanken über die vor kurzem stattgefundene Kundgebung, auf der er gesprochen hatte, über die ausgehobene und teilweise leer gebliebene Grube, weil der himmlische Steinregen wählerisch gewesen war und nur Bauarbeiter und Rotarmisten getötet hatte.
Der Abend senkte sich immer tiefer herab und machte dem bereits dunklen Himmel mit einem Haufen von Sternen Platz, die aus ihrem Tagesschlaf geweckt worden waren.
„Aufstehen! Aufstehen!“, brüllte plötzlich Archipka-Stepan, der sich erhoben hatte und mit dem Zeigefinger nach oben wies. „Man kann ihn schon sehen! Aufstehen!“
Die Menschen begannen sich zu regen, sammelten ihre Sachen zusammen und machten sich zum Aufbruch bereit. Einige aßen noch eilig zu Ende.
Allmählich waren die Menschen reisefertig, traten auf den Weg hinaus, der zwischen den Feldern und dem Wald lag, warfen zum Abschied einen Blick auf die beiden frischen Gemeinschaftsgräber, verbeugten sich vor ihnen, und nachdem sich Archipka-Stepan an die Spitze der schlecht organisierten Kolonne begeben hatte, setzten sie sich in Bewegung.
Neben Archipka-Stepan schritten der Oberdeserteur und der bucklige Buchhalter dahin und etwas abseits davon ging Trofim mit müdem Schritt. Der Engel, der sich in die Mitte der Kolonne gedrängt hatte, half Katja, ihre Bücher zu tragen, wobei er nicht mit ihr sprach und nicht einmal ihre seitlichen Blicke erwiderte, die voller Neugier waren. Sie selbst unternahm freilich den Versuch, mit ihm ins Gespräch zu kommen, das heißt, sie stellte dem Engel eine Frage:
„Du glaubst also, dass es Gott gibt?“
Selbstverständlich musste dem Engel diese Frage seltsam vorkommen, und er schwieg. Neue Fragen folgten jedoch nicht, und so gingen sie schweigend dahin unter den nächtlichen Sternen und hörten der dumpfen Musik der unbefestigten Straße zu, über die Hunderte trotziger Schuhsohlen stampften.
Der Mond, voll und rund wie das paradiesische Weizenbrot, zog gemächlich über den Himmel. Die achte Nacht der Reise dauerte fort. Die Kräfte ließen nach, und nur der unermessliche menschliche Traum und der Glaube an ein baldiges Ende des Weges ließen die Menschen ihre von der langen Reise schwer gewordenen Beine weiterbewegen.
Plötzlich blieb Archipka stehen, und auch die Menschen hinter ihm hielten an. Die Hinteren stießen an die Rücken der Vorderen und die Kolonne geriet in Verwirrung, da niemand verstand, warum sie stehen geblieben waren.
Archipka-Stepan stand da und versuchte etwas zu sagen, aber seine Zunge gehorchte ihm nicht, wie es nötig gewesen wäre, und so zeigt er nur mit dem Finger der rechten Hand nach oben in den dunkelblauen Himmel. Und jene, die neben und hinter ihm stehen, schauen in den Himmel und sehen zu ihrem Schrecken, wie ein winziger Stern die Himmelskuppel hinab zieht, vor ihren Augen seinen Glanz verliert, sich daraufhin losreißt und nach unten fliegt. Es kommt ihnen zunächst so vor, als ob er direkt auf sie zuflöge, aber knapp über der Erde erlischt der Stern, und da entringt sich der Brust des entflohenen Kolchosbauern ein lauter Klageruf: „Archipka-a-a!“ Und alle beginnen zu verstehen, was in dieser achten Nacht auf dem riesigen wolkenlosen Himmel passiert ist. Und Tränen steigen in den Augen Vieler auf, und die Frauen flennen wieder, aber dieses Mal weinen sie nicht mehr um die Toten, sondern um die am Leben Gebliebenen, die zurückgeblieben sind.
„Was ist, was hast du?“, fragt der Oberdeserteur mit bebender Stimme den benommenen Archipka-Stepan.
„Abgestürzt …“, stammelt der entflohene Kolchosbauer
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