Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
nicht auf den Reiz zu reagieren.
Das Leben war gut, und fast alles daran machte Banow Freude. Man konnte sagen, dass er selbst mehr zu träumen begonnen hatte, fröhlicher und optimistischer geworden war, und das alles dank Klara Rojd. Er war ihr für vieles dankbar, versuchte das aber irgendwie zu überspielen, weil er dachte, dass auch sie ihm für vieles dankbar sein musste, und die gegenseitige Dankbarkeit könnte, wie er meinte, das Glück ihrer Treffen und ihrer Beziehung stören, die auf einem hohen menschlichen Niveau lag und die mehr als eine gewöhnliche Freundschaft war, und auch mehr als eine sowjetische Liebe.
Draußen wurde es dunkel. Gestern noch hatte es zur gleichen Zeit genieselt, aber an diesem Tag war es trocken. Die Zeit verstrich ruhig und langsam, ohne Banow von seinen angenehmen Gedanken abzulenken. Heute oder morgen würde er Klara anrufen und ihr eine erfreuliche Neuigkeit mitteilen, und zwar, dass sich einer ihrer Träume bald erfüllen würde. Ihm war es gelungen, beim Leiter des Narkompros eine Bewilligung für zwei Personen zu erreichen, für sich selbst und für Vizedirektor Kuschnerenko. Und zwar dafür, dass die „oben genannten Genossen jeweils einen Fallschirmsprung zu Übungszwecken durchführen sollen mit dem Ziel, das militärische Praxiswissen des Direktoren- und Lehrpersonals des Narkompros zu erhöhen“. Unter dem Namen Kuschnerenko würde Klara mit ihm gemeinsam springen, und als er daran dachte, vermochte sich Banow Klaras Freude darüber gar nicht so recht auszumalen. Obwohl er die Höhe, obwohl er Glockentürme und Dächer liebte, machte ihm der Gedanke an den ersten Fallschirmsprung seines Lebens etwas Angst, aber sogleich schalt er sich für seine Feigheit und nahm sich an Klara mit ihren furchtlosen Träumen ein Beispiel.
Plötzlich schrillte das Telefon. Banow nahm den Hörer ab. Er dachte, es wäre vielleicht Klara, aber da fiel ihm ein, dass er ihr seine Telefonnummer nicht gegeben hatte.
„Hallo, Genosse Banow?!“, fragte eine bekannt klingende Männerstimme.
„Ja.“
„Ich rufe vom Narkompros an. Bleiben Sie noch eine Stunde da, ein Kurier kommt mit einem Paket zu Ihnen. Machen Sie sich bitte genau mit den Unterlagen vertraut! Alles Gute.“
Banow gelang es gar nicht mehr, sich zu verabschieden, da hatte der Mann vom Narkompros den Hörer schon aufgelegt.
Man konnte zwar nicht sagen, dass ihm die Laune verdorben war, aber sie hatte sich verändert. Schließlich hatte er vorgehabt, aufs Dach zu steigen, um dort ein oder zwei Stunden zu sitzen und die Hauptstadt im Halbdunkel zu betrachten. Und jetzt musste er auf diesen Kurier warten …
Etwas mehr als eine Stunde später schellte die Glocke. Ein Kurier in Armeeuniform überreichte ihm schweigend ein kleines Paket mit zwei Stempeln aus Siegellack sowie mit dicht verleimten Papiernähten, salutierte und ging sogleich wieder. Der Direktor verschloss die Tür und stieg hinauf in sein Arbeitszimmer.
„Anordnung des Narkompros“, las er, als er wieder in seinem Zimmer saß. „Hiermit wird angeordnet, am Dienstag, den 13. Oktober dieses Jahres, in allen Schulen der Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken, inklusive der Schulen des diplomatischen Korps, der Konsulate und der Handelsvertretungen, die sich im Ausland befinden, für die Lehrer aller Gegenstände und Klassen mit Ausnahme der Schuldirektoren einen einheitlichen Schultag nach besonderem Programm durchzuführen. Dieser Tag muss zur Gänze und durch alle Lehrer dem Verfassen eines Aufsatzes über eines der vorgeschlagenen Themen gewidmet sein. Das Verfassen der Aufsätze erfolgt unter der Aufsicht der Komsomol-Mitglieder der Schule. Lehrer, die sich an diesem Tag auf Dienstreise oder im Krankenstand befinden, sind verpflichtet, ihre Aufsätze innerhalb von 24 Stunden dem Direktor der nächsten Schule beziehungsweise der Schule, der sie zugeordnet sind, vorzulegen. Jeder Aufsatz wird auf einzelne Doppelbögen aus Schulheften geschrieben. Auf der ersten Titelseite führen die Lehrer ihren Vor-, Vaters- und Nachnamen an sowie die Nummer und Adresse ihrer Schule. Die fertiggestellten Aufsätze sind in einer eigenen Mappe abzulegen, der ein Vollständigkeitsnachweis beizufügen ist.
Danach ist die Mappe im Zimmer des Direktors unter seiner persönlichen Verantwortung bis zur Ankunft eines Spezialkuriers des Narkompros aufzubewahren.
Die Aufsätze der Lehrer werden weder von den Direktoren noch von den Komsomolmitgliedern beurteilt oder
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