Der Wald der Könige
Nachdem das Schiff in den sicheren Hafen eingefahren war, holte es die Segel ein. Es dauerte eine Weile, bis Seagulls Boot ebenfalls sein Ziel erreicht hatte. Kurz vor der Einfahrt bemerkte Jonathan, dass Alan Seagull zum Himmel blickte und die Wolken beobachtete. Sein übliches Schmunzeln war verflogen. Auf Jonathan machte er einen besorgten Eindruck.
Als sie anlegten, hatte das Schiff aus Southampton bereits Anker geworfen, und die Mannschaft war dabei, die Ladung zu löschen.
Die Stadt Yarmouth war ebenfalls eine Gründung des Feudalherrn von Lymington. Er hatte die Stadt im Schachbrettmuster östlich der Hafengewässer anlegen lassen. Obwohl es sich um eine kleine Ortschaft handelte, ging es sehr geschäftig zu, denn der Großteil des Handels auf der Insel Wight wurde hier abgewickelt.
Innerhalb der letzten hundert Jahre hatte man einen Kai gebaut und einen Hebekran anbringen lassen, damit die Schiffe gleich an den Docks entladen werden konnten, ohne die Fracht zuerst auf Leichter umpacken zu müssen.
Kaum hatte das Boot angelegt, als die Besatzung sich schon an die Arbeit machte. Während man Fallreepleitern zum Kai verlegte und den Kran in Bewegung setzte, klappten die Seeleute eine Seilwinde am Mast aus, mit der man schwerere Gegenstände wie Fässer vom Rahnock aus über Bord schwenken konnte. Jeder hatte seine Aufgabe. Selbst die beiden Jungen eilten, bewaffnet mit Seidenballen, Gewürzkisten und anderen Dingen, die sie tragen konnten, emsig zwischen Boot und Kai hin und her. Ein kurzer Blick sagte Jonathan, dass sie mit ihrer geringeren Ladung sicher einen Teil des Rückstands wieder aufholen würden. So beschäftigt war er, dass er gar nicht bemerkte, wie sich der Himmel über dem Hafen verdunkelte.
Aber Alan Seagull hatte es bemerkt. Anfangs hatte er seinen Männern beim Löschen der Ladung geholfen, doch als das letzte Weinfass wohlbehalten an Land war, sprang er auf den Kai, wo der Kapitän des anderen Schiffes die Entladungsarbeiten überwachte, und wies auf den Himmel.
Der vierschrötige Mann aus Southampton blickte in die angegebene Richtung und zuckte dann die Achseln. »Ich habe schon Schlimmeres gesehen«, knurrte er.
»Mag sein.«
»Wir sind längst zurück, bevor es losgeht.«
»Das glaube ich nicht.«
Wie um Seagulls Worte zu bestätigen, wehte plötzlich eine Windböe heulend über die Dächer von Yarmouth und blies den beiden Männern Regentropfen ins Gesicht.
»Runter mit diesem Fass. Beeilung!«, brüllte der Kapitän seiner Mannschaft zu. »So, das wär’s.« Er drehte sich zu Seagull um. »Wir legen zuerst ab. Wenn Ihr nicht genug Mumm für die Überfahrt habt, ist das Euer Pech.« Mit diesen Worten wandte er Seagull den Rücken zu und kehrte zurück auf sein Schiff.
Allerdings hatte er sich, was die Abfahrt anging, geirrt, denn Seagulls Schiff legte als erstes ab und hielt auf die Hafenmündung zu. Seagull hatte den Männern befohlen zu rudern. Doch sie hatten vor dem Ablegen das Segel so gerafft, dass es beim Setzen die Form eines schmalen Dreiecks an Stelle eines Vierecks haben würde. Jonathan war überglücklich, dass sie den Hafen vor dem größeren Schiff verließen. Aber er erkannte an den angespannten Mienen der Seeleute und an Seagulls ernstem Blick, dass etwas im Argen lag.
»Das wird kein Spaziergang«, meinte Willie.
Kurz darauf passierten sie die Sandbank und befanden sich auf dem offenen Wasser.
Am meisten fürchtet der Seemann auf dem Solent den heftigen Sturm, der von Osten weht. Das geschieht zwar nicht oft, doch wenn es so weit ist, vorzugsweise im April, hat der Wind eine fürchterliche Gewalt.
Wenn der Sturm von Osten her den Ärmelkanal entlang bläst, bietet die Insel Wight keinen Schutz. Der Sturm weht am breiteren Ostende des Solent herein, fegt durch den immer schmaler werdenden Trichter und peitscht die Wogen auf. Das friedliche Paradies verwandelt sich in ein tosendes Inferno aus bräunlichem Wasser. Die Insel verschwindet hinter einem gewaltigen Nebel wabernder Gischt. Der Sturm heult über den Salzmarschen, als wolle er sämtliche Pflanzen entwurzeln und sie – Dornenbäume, Ginsterbüsche und was sonst noch so wächst – hoch über Keyhaven hinweg in den schäumenden Ärmelkanal schleudern. Wenn ein Seemann den großen Sturm von Osten kommen sieht, sucht er sich so schnell wie möglich ein geschütztes Plätzchen.
Alan Seagull schätzte, dass die Zeit gerade noch reichte.
Sobald sie die Sandbank hinter sich gelassen hatten, blies ihnen
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