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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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die Dunkelheit des Sturms so sehr verfinstert hatte, dass man nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen konnte. Nur Totton, der mit seinem Stundenglas genau wusste, wie spät es war, schloss aus den rieselnden Sandkörnern, dass sein Sohn nun schon seit acht Stunden vermisst wurde.
    Als das Schiff aus Southampton eintraf, war die Freude zunächst groß gewesen. Im Angel Inn, wo sich die meisten der Leute, die gewettet hatten, einfanden, sammelte man nun die Wettgelder ein. Aber man stellte auch Fragen. Hatte das andere Boot die Überfahrt ebenfalls versucht? Ja. Es hatte Yarmouth zuerst verlassen. Welchen Kurs hatte es genommen? Geradeaus über das Wasser.
    »Dann sind sie sicher nach Westen abgetrieben worden«, meinte Burrard. »Sie werden an der Küste entlangrudern müssen. Es wird gewiss noch eine Weile dauern.« Doch viele hörten aus seiner wegwerfenden Art einen Anflug von Besorgnis heraus, und man bemerkte, dass er keine Anstalten machte, seine Gewinne einzustreichen. Kurz darauf begab sich Totton zum Kai hinunter, und Burrard folgte ihm. Danach wurde die Stimmung im Angel Inn gedämpfter; den Leuten war die Lust zum Scherzen vergangen.
    Unten am Kai reichte die Sicht nur bis hinunter zu den schwankenden Schilfhalmen. Nachdem Totton die Familie Seagull besucht hatte, marschierte er, begleitet von Burrard, den Pfad entlang zur Flussmündung. Hilflos starrte er etwa eine halbe Stunde lang durch den Regen auf das tosende Wasser, bis Burrard leise sagte: »Komm, Henry, wir können hier nichts tun.« Er brachte seinen Freund nach Hause.
    Dann machte sich Burrard auf den Weg, um Erkundigungen einzuziehen. Nach einer Weile kehrte er zurück und leistete Totton Gesellschaft.
    »Ich schulde dir noch die Wette«, meinte Totton geistesabwesend.
    »Ganz recht, Henry«, erwiderte Burrard fröhlich, denn er verstand, dass sein Freund Ablenkung brauchte. »Wir klären das morgen.«
    »Ich muss sie suchen gehen«, verkündete Totton wenig später unvermittelt.
    »Henry, ich flehe dich an.« Burrard legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das Beste ist, wenn du hier wartest. Es ist unmöglich, da draußen jemanden zu finden. Doch wenn dein Sohn, nass bis auf die Haut, von seinem Fußmarsch die Küste entlang zurückkommt, ist er sicher froh, dich hier anzutreffen. Ich habe bereits vier Männer losgeschickt, die alles durchkämmen.« Dass zwei von ihnen schon aus Keyhaven zurückgekehrt waren und gemeldet hatten, sie hätten keine Spur von Seagulls Boot entdecken können, verschwieg er seinem Freund wohlweislich. »Komm, sag deinem hübschen Dienstmädchen« – diese Beschreibung der armen Frau hätte wohl die meisten Menschen in Erstaunen versetzt –, »sie soll uns eine Pastete und einen Krug Rotwein bringen. Ich verhungere.«
    Nachdem Burrard dafür gesorgt hatte, dass sein Freund etwas zu sich nahm, saß er schweigend bei ihm in der leeren Halle. Totton starrte benommen geradeaus.
    Dennoch wäre selbst Burrard überrascht gewesen, hätte er gewusst, woran Totton in diesem Augenblick dachte.
     
     
    Einen Tag vor dem Rennen hatte Henry Totton seinen Rivalen Alan Seagull aufgesucht.
    Der Seemann hatte alleine dagesessen und seine Netze geflickt, als er den ernst blickenden Kaufmann näher kommen sah. Zu seiner Verwunderung war Totton vor ihm stehen geblieben.
    »Ich muss ein Geschäft mit Euch besprechen«, verkündete Totton. Als Seagull ihn fragend ansah, fuhr er fort: »Auf das Rennen morgen ist viel Geld gesetzt worden.«
    »So heißt es zumindest.«
    »Aber Ihr wettet nicht.«
    »Nein.«
    »Ihr seid ein kluger Mann. Vermutlich sogar weiser als ich.«
    Falls Seagull diese Auffassung teilte, ließ er sich das zumindest nicht anmerken. Tottons Eingeständnis verblüffte ihn, allerdings nicht so sehr wie das, was der Kaufmann als Nächstes sagte.
    »Mir ist zu Ohren gekommen, dass Ihr gewinnen werdet.«
    »Oh?« Der Seemann blickte ihn argwöhnisch an. »Wo habt Ihr denn das gehört?«
    »Von meinem Sohn. Letzte Nacht.«
    »Und wie« – Seagull betrachtete seine Netze – »kommt er auf diesen Gedanken?«
    »Das verrät er mir nicht.«
    Wenn das stimmte, überlegte Seagull, hatte der kleine Jonathan das Geheimnis besser bewahrt als sein eigener Sohn. Aber entsprach das wirklich der Wahrheit, oder wollte Totton ihn unter Druck setzen? »Vermutlich wird das vom Wetter abhängen«, erwiderte er.
    »Mag sein. Aber wisst Ihr«, sprach Totton ruhig weiter, »ich habe ursprünglich eigentlich deshalb gegen Euch gewettet, weil

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