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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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auf den Baum zu.
    Die Eiche, quercus, ist seit uralten Zeiten heilig. Auf der Erde gibt es fünfhundert Eichenarten, doch auf der britischen Insel kommen seit dem Ende der Eiszeit hauptsächlich zwei von ihnen vor: quercus robur, die Stiel- oder Sommereiche, deren Eicheln auf kleinen Stängeln wachsen; und quercus petraea, die Traubeneiche, deren Laub weniger Zacken aufweist; ihre Eicheln wachsen unmittelbar aus dem Blatt heraus. Beide Sorten gedeihen auf dem sandigen Boden des New Forest.
    Erfreut betrachtete Albion die Eiche, denn für Bäume hatte er eine besondere Schwäche.
    In den letzten vierhundert Jahren hatte sich an der Verwaltung des New Forest nicht viel verändert. Die Hirsche des Königs wurden noch immer geschützt, der Monat der Zäune mitten im Sommer galt auch weiterhin. Die Forstaufseher hielten ihre Gerichtsverhandlungen ab, die Förster herrschten über ihre Bezirke. Von Zeit zu Zeit trafen adelige Kontrolleure ein – zumeist Ritter aus der Grafschaft – und überprüften die Grenzen des New Forest. Allerdings war das durch immer neue Landvergaben an Privatpersonen schwieriger geworden als früher. In einer Hinsicht aber hatte es einschneidenden Wandel gegeben.
    Niemand konnte mit Gewissheit sagen, wann es angefangen hatte. Seit Jahrhunderten unterstanden auch die Bäume im Wald einer gewissen Verwaltung. Denn das Holz wurde dringend gebraucht: Stangen, Pfähle, Zweige zum Bau von Pferchen, Reisig, Holz zum Verfeuern und für die Herstellung von Holzkohle. Meist wurden nur die kleineren Bäume und Büsche wie Haselnuss oder Stechpalme verwendet. Um aus einem Haselnussbaum eine gerade Stange zu fertigen, wurde er dicht über dem Boden abgeschnitten. Die aus dem Stumpf wachsenden Schösslinge konnten dann alle paar Jahre abgeerntet werden. Diesen Vorgang bezeichnete man als Stutzen. Etwas seltener verfuhr man mit den Eichen auf dieselbe Weise: Man fällte den Baum etwa zwei Meter oberhalb der Wurzel, sodass er weitere Sprösslinge trieb, was Kappen genannt wurde. Der Baum mit seinem mächtigen Stamm und den fächerförmigen Zweigen hieß gekappte Eiche.
    Leider jedoch fraßen nach dem Abschneiden der unteren Äste Hirsche und andere Waldtiere die Schösslinge ab und machten somit alle Mühe zunichte. Deshalb hatte man sich darauf verlegt, kleinere Gebiete mit niedrigen Erdwällen und Zäunen einzufrieden, um das Wild für drei oder mehr Jahre fern zu halten, bis die Schösslinge zu hart für den Verbiss waren.
    Vor einem Jahrhundert, kurz vor der Thronbesteigung der Tudors in England, hatte das Parlament das Anlegen dieser Einfriedungen endlich gesetzlich geregelt. Mit einer Genehmigung durfte man Zäune errichten, damit die Bäume drei Jahre Zeit hatten, sich zu erholen. Diese Frist war seitdem großzügig auf neun Jahre verlängert worden. Die Einfriedungen waren deshalb sehr wertvoll und wurden verpachtet.
    In jenen Jahren nahm der Bedarf an Bauholz zu. Für die Erstellung von Häusern, Schiffen oder anderen königlichen Projekten genügte das Beschneiden nicht mehr – man musste ganz Bäume fällen. Im Jahr 1540 hatte der mächtige König Heinrich VIII. einen Generalinspektor ernannt, der die Gewinne, welche die königlichen Wälder einbrachten – einschließlich der Holzernte –, verwalten sollte. Für jede Grafschaft, in der sich ein königlicher Wald befand, wurde ein Waldhüter eingesetzt. Inzwischen war der New Forest nicht nur ein Hegegebiet für die Hirsche des Königs. Ganz allmählich setzte sich die Auffassung durch, dass er sich ausgezeichnet als königliche Baumschule nutzen ließ.
    Vor einigen Jahren war es Albion gelungen, den Posten des Waldhüters für den New Forest zu ergattern, was für ihn ein ordentliches Zubrot bedeutete. Darüber hinaus hatte er eine Menge über Bäume gelernt und mittlerweile sogar eine Schwäche für sie entwickelt. Deshalb betrachtete er die stattliche alte Eiche mit Freude und Bewunderung.
    Ihre ausladende Krone war auf natürlichem Wege, nicht durch Beschneiden entstanden. Außerdem genoss der Baum aus zwei Gründen einige Berühmtheit. Erstens gehörte die Eiche – etwa fünf Kilometer von Lyndhurst entfernt – zu den drei seltsamen Vertretern ihrer Art, die jedes Jahr zu Weihnachten auf wundersame Weise eine Woche lang Blätter trieben. Und zweitens war sie im Laufe ihres langen Lebens angeblich Zeuge eines bedeutsamen Ereignisses geworden.
    »Das ist die Eiche, an der Walter Tyrrells Pfeil abprallte und König Rufus tötete«, sagten die

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