Der Wald der Könige
verlobt zu sein, der sie heiraten wollte, sobald sie endlich ihr Jawort gab. Und das hatte sie auch vor, obwohl sie ihn natürlich erst ein wenig zappeln lassen musste, wie es sich für ein anständiges Mädchen gehörte.
»Lass ihn ein Jahr warten, Jane«, hatte ihre Mutter ihr geraten. »Falls er dich wirklich liebt, wird er dich dann nur umso mehr zu schätzen wissen.«
Natürlich würde sie sich ihm vor der Hochzeit auch nicht hingeben, schließlich wollte sie unbescholten vor den Altar treten. Und so verbrachten die beiden viel Zeit miteinander in einer Stimmung freudiger Erwartung.
Es war freundlich von Clement Albion gewesen, ihr zu gestatten, die Männer an diesem Morgen zu begleiten. Sie waren, Jane eingeschlossen, nur zu fünft und wurden in dem kleinen Wagen ordentlich durchgerüttelt, während Albion auf seinem Pferd neben ihnen herritt. Jane war stolz, dass er ihren Nick für diese schwierige Aufgabe ausgesucht hatte. Sie hatte die Sandalen ausgezogen und ließ ihre drallen Beine über den Rand des Wagens baumeln. Die Sonne brannte ihr warm auf die Haut. Und Jane sog begierig die kühle salzige Luft ein, während sie Lymington hinter sich ließen und in eine ihr bisher unbekannte Gegend vordrangen.
Jane war sechzehn, Nick achtzehn Jahre alt. Er wohnte in dem Dorf Minstead, ein paar Kilometer nördlich von Lyndhurst, sie im etwa zweieinhalb Kilometer entfernten Weiler Brook. Ihre Eltern fanden, dass die beiden jungen Leute ausgezeichnet zueinander passten.
Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich die Prides in vielen Teilen des New Forest niedergelassen, während die Furzeys zum Großteil im Süden geblieben waren. Janes Familie stellte eine Ausnahme dar. Aus irgendeinem Grund war sie in die Gegend von Minstead übergesiedelt. »Die Furzeys in Minstead vertragen sich nicht mit ihren Verwandten«, lautete die einhellige Meinung der Bauernfamilien, die in dieser Region meist untereinander heirateten und ihre kleinen Zwistigkeiten rasch begruben. Man erinnerte sich noch immer daran, dass einer der Furzeys während der Rosenkriege Priester geworden war. Ein anderer aus ihren Reihen war nach Southampton gezogen. »Er war Kaufmann«, erklärte Nicks Vater seinem Sohn. »Und wurde sehr wohlhabend, wie es heißt.« Die übrigen Furzeys tuschelten, dass der Familienzweig in Minstead die Nase zu hoch trug, doch für die Prides, die ihr Licht auch nicht unter den Scheffel stellten, bedeutete das keine Schwierigkeit. Die Väter von Nick und Jane hatten sich stets gut verstanden. Und als Janes Vater vor zehn Jahren nach Brook gekommen war, hatte Nicks Vater gemeint: »Ich denke, deine Jane und mein Nick würden ein hübsches Paar abgeben.« Janes Vater hatte dem beigepflichtet und es seiner Frau erzählt, die es ohnehin schon wusste. Und so war es eben geschehen.
Niemand hätte Jane als Schönheit bezeichnet. Sie hatte eine breite Stirn, trug das braune Haar in der Mitte gescheitelt und hatte tiefblaue Augen. Außerdem war sie ziemlich klein und hatte wohlgerundete, breite Hüften. Dennoch fühlten sich die Männer zu ihr hingezogen. Jane verbrachte ihre Tage mit Kochen, Backen und Nähen, versorgte ihre jüngeren Geschwister und besaß einen Hund, der gerne Eichhörnchen jagte. Auf dem kleinen Bauernhof ihrer Eltern war sie mit allen Arbeiten vertraut.
Allerdings konnte sie lesen, und das war eine Seltenheit. Niemand sonst in ihrer Familie beherrschte diese Kunst, und auch keiner aus den übrigen Bauernfamilien in Minstead oder Brook. Wäre ihr Vater Kaufmann oder Handwerker in einer Stadt wie beispielsweise London gewesen, hätte er es vermutlich gelernt, doch auf dem Land bestand dafür keine Notwendigkeit. Selbst ein wohlhabender Freisasse, der einen großen Bauernhof sein Eigen nannte und großen Einfluss hatte, unterzeichnete – im Gegensatz zu einem mittellosen Schreiber – mit einem Kreuz und nicht mit seinem Namen.
Niemand hatte Jane das Lesen gelehrt. Sie hatte es sich selbst aus der Bibel beigebracht, über der sie in der Kirche von Minstead brütete, und aus anderen Schriftstücken, die sie bei ihren Besuchen auf den Wochenmärkten entdeckte. Obwohl sie sich nicht viel auf diese Fähigkeit zugute hielt, da sie im Alltag nur geringen Wert besaß, hatte es ihr Freude gemacht, etwas Neues zu lernen. Nick Pride hingegen war sehr stolz darauf. »Meine Frau kann lesen«, hörte er sich schon sagen. Denn das Ansehen, das die Bildung mit sich brachte, würde natürlich auch auf ihn abfärben, wenn sie erst
Weitere Kostenlose Bücher