Der Wald der Könige
einmal verheiratet waren.
Bei ihrer Hochzeit würde Jane weder Gold noch Schmuck oder Seidenkleider mit in die Ehe bringen. Im New Forest waren solche Dinge überflüssig. Doch ein kleines, schlichtes Schmuckstück wollte sie unbedingt haben, und ihre Eltern hatten versprochen, ihr diese Bitte zu erfüllen.
Es war ein seltsames Holzkreuzchen, das ihre Mutter an einer Schnur um den Hals trug. Janes Vater hatte es ihr zur Hochzeit geschenkt.
»Ich weiß nicht, woher es stammt, aber es war schon immer im Besitz der Familie«, hatte er ihr erklärt. »Angeblich bereits seit vielen hundert Jahren.« Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich ist es nur ein komisches, altes Ding, doch mein Großvater sagte mir: ›Pass gut darauf auf. Das ist dein Familienerbe‹.«
Das Kreuz aus Zedernholz war nun schon von so vielen Generationen getragen worden, dass es inzwischen fast schwarz war. Doch dieser Familientalisman hatte Jane schon als kleines Mädchen magisch angezogen. Es machte ihr Freude, das Kruzifix zu berühren und in der Hand zu halten. Und sie versuchte, die Inschrift zu entziffern, als enthielte sie eine geheime Bedeutung. Denn dessen war sie sicher, obwohl sie nicht ahnte, dass das Kreuz einst, vor fast dreihundert Jahren, einem Mönch gehört hatte.
Sie wollte es bei ihrer Hochzeit tragen.
Der Wagen rumpelte den Weg entlang, bis sie eine Kiesebene erreichten.
»Schaut!«, rief sie begeistert aus. »Wir sind am Meer.«
Verdrießlich betrachtete Albion die Festung, die sich vor ihnen erhob. Warum zum Teufel hatte sein guter Freund Gorges bloß darauf bestanden, dass er diese Burschen hierher brachte? Reine Zeitvergeudung, dachte er. Doch eigentlich ärgerte er sich nur, um die Angst zu unterdrücken, die der Anblick der Festung nach dem Gespräch mit seiner Mutter am Vortag jetzt unwillkürlich auslöste.
»Holla!«, rief er. »Albions Miliz.«
»Ihr könnt passieren, Sir«, lautete die Antwort.
Sie hatten die Sümpfe von Pennington überquert und die Flussmündung von Keyhaven hinter sich gelassen. Nun setzten sie ihren Weg auf dem Pfad fort, der zum Ende der etwa anderthalb Kilometer langen Landzunge gegenüber der Insel Wight führte. Über ihnen kreischten die Möwen, und in der Ferne, am Ende der Landzunge, lag – weißlich schimmernd im Sonnenlicht – ihr Ziel.
Hurst Castle. Ohne die Ehezwistigkeiten von Heinrich VIII. wäre es vermutlich nie gebaut worden. Schließlich wurden Englands Küsten schon seit mehr als tausend Jahren immer wieder von fremden Mächten bedroht. Doch als der Papst, verärgert über Heinrichs Lossagung, Spanien und dessen Rivalen Frankreich aufgefordert hatte, die ketzerische Insel gemeinsam zu überfallen, hatte der englische König beschlossen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Also hatte er Abgesandte losgeschickt, um die Verteidigungsmöglichkeiten der Küste zu überprüfen. Und es gab nur wenige Orte von größerer strategischer Bedeutung als Southampton und den Solent. Doch bei ihrem Besuch waren die Abgesandten zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verteidigungsanlagen ihren Zweck keinesfalls erfüllten.
Selbstverständlich war es das Sinnvollste, die beiden Einfahrten zum Solent zu blockieren und somit feindliche Schiffe fern zu halten. Das hieß, dass man am westlichen Ende zwei Befestigungsanlagen errichten musste, eine auf der Insel Wight, unweit der so genannten Nadeln, die andere auf dem Festland. Auf der Insel stand bereits ein verfallener Turm, den man benutzen konnte.
Und was die Küste des Festlandes betraf, lautete die einhellige Meinung: »Gott hat für uns gesorgt.«
Die lange, gebogene Landzunge unterhalb von Keyhaven eignete sich in der Tat vortrefflich für wirkungsvolle Verteidigungsmaßnahmen. An ihrer Spitze befand sich eine breite Ebene, und diese überblickte die schmälste Stelle der Rinne, die in den Solent führte. Sofort hatten die königlichen Abgesandten befohlen, einen Erdwall mit Geschützstellungen zu errichten, gewissermaßen ein Bollwerk. Doch König Heinrich VIII. wollte mehr, und bald begann man mit einem ehrgeizigen Bauvorhaben.
Hurst Castle war eine kleine, gedrungene Festung aus Stein. Doch am auffälligsten war die Form des Gebäudes: weder rund noch quadratisch, sondern dreieckig. An jeder Ecke erhob sich ein dicker, halbrunder Turm. In der westlichen Mauer befand sich ein Fallgatter mit einer Zugbrücke, die über einen schmalen Graben führte. Mitten in der dreieckigen Festung ragte ein zweistöckiger Turm empor. Türme und
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