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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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er, Clement Albion, sich etwas vorzuwerfen? Wenn er morgen vor den Rat zitiert und gefragt werden würde, ob er ein treuer Gefolgsmann der Königin sei, würde er dann Cecil in die Augen sehen und bejahen können?
    »Mein Gewissen ist rein.« Niemand hörte zu. Er versuchte es noch einmal. »Ihre Majestät hat keinen Grund, sich über mich zu beklagen. Ich habe sie nie belogen. Niemals.«
    Nun, das war fast die Wahrheit. Denn Albion legte die Pflichten seiner Arbeit recht eigenwillig aus. Als Waldhüter, der die Bäume im Wald ihrer Majestät überwachte, erhielt er ein Gehalt und wertvolle Privilegien. Zum Beispiel gehörte die Rinde gefällter Eichen ihm. Er ließ sie mit Wagen nach Fordingbridge bringen, wo die Gerber ihn gut für diesen wichtigen Rohstoff bezahlten, den sie zur Herstellung von Leder brauchten. Außerdem bezog er Pachtzinsen.
    Die Einfriedung, vor der er jetzt stand, war ein gepflegtes, zwölf Hektar großes Waldstück unweit von Knightwood an einem Weg, der vom westlichen Lyndhurst hierherführte. Der Erdwall und der stabile Zaun waren in gutem Zustand. Es oblag dem Waldhüter, diese Einfriedung für die üblichen einunddreißig Jahre zu verpachten, und das hatte er auch getan – nämlich an sich selbst. Nach den Pachtbedingungen durfte er das Unterholz verkaufen, das zum Großteil aus Dornengestrüpp und Haselbüschen bestand. Gleichzeitig jedoch war er verpflichtet, das kostbare Bauholz zu pflegen und mindestens zwölf junge Bäume pro halben Hektar stehen zu lassen. Also hätte Albions Einfriedung bei Beginn der Pacht mindestens dreihundertsechzig Bäume enthalten müssen, und so war es auch gewesen. Doch auf wundersame Weise waren hundertfünfzig davon verschwunden, sodass nur noch zweihundertzehn übrig blieben. Der Gewinn aus dem Verkauf dieses Holzes hatte ein nicht zu verachtendes Zubrot dargestellt.
    Eigentlich war es die Aufgabe eines Waldhüters Ihrer Majestät, derartige Vergehen aufzuspüren, zu melden und für die Bestrafung des Pächters zu sorgen. Doch da er selbst der Waldhüter war, war ihm dieser Gesetzesverstoß gänzlich entgangen.
    Noch schwerer wog die Straftat, die sich vor nicht allzu langer Zeit während des Verkaufs einer viel größeren Einfriedung ereignet hatte. Albion selbst hatte – im Auftrag der Krone – das Geschäft in die Wege geleitet und das Geld der Schatzkammer Ihrer Majestät übergeben. Auch eine große Menge Unterholz war veräußert worden, die Transaktion war säuberlich in einem schriftlichen Vertrag festgehalten. Allerdings fehlte in dem Dokument der Hinweis darauf, dass es sich dabei in Wirklichkeit um Bauholz von viel höherem Wert gehandelt hatte. Die Differenz zwischen tatsächlichem und offiziellem Kaufpreis war in Albions Tasche geflossen.
    Natürlich bestand die Gefahr, dass die königlichen Inspektoren bei ihrem nächsten Besuch im New Forest – ein solcher fand alle paar Jahre statt – den Betrug aufdecken würden. Andererseits gehörte Albion selbst zu diesem erlauchten Kreis, weshalb er es für äußerst unwahrscheinlich hielt, dass dieser Betrug aufflog.
    Seit seinem Gespräch mit Helena Gorges bei Hurst Castle vor einigen Monaten fühlte Albion sich nicht wohl in seiner Haut. Als Waldhüter ein ruhiges Leben zu führen war eine schöne Sache. Doch was würde geschehen, wenn der Rat Schritte gegen ihn einleitete? Oder falls die Nachbarn erfuhren, dass er unter Verdacht stand? Womöglich erschienen gar Cecils Leute im New Forest, um ihm etwas am Zeug zu flicken – und dann würden seine Unregelmäßigkeiten vielleicht ans Licht kommen. Auch wenn man ihm keinen Hochverrat nachweisen konnte, Schande und finanzieller Ruin wären unweigerlich die Folge.
    Doch Winter und Frühjahr waren ereignislos verstrichen. Inzwischen war es Mai. Wie jeder aufrechte Mann, der glaubt, dass man ihm nie auf die Schliche kommen wird, hatte Albion ein reines Gewissen. Obwohl die Sonne bereits rotgolden im Westen unterging, leuchtete der weite Himmel über dem New Forest noch blau. Schmale Wolkenfetzen schimmerten rosafarben und silbern, als Albion nach Süden, vorbei an Brockenhurst, ritt. Er wollte den kleinen Fluss, der durch die Mitte des New Forest verläuft, an der ruhigen Furt überqueren, unterhalb derer sein Haus stand. Ein wenig beruhigt setzte er seinen Weg fort.
    Deshalb war er nicht wenig erstaunt, als er an der Furt zwei Kutschen bemerkte. Die eine war mit kostbaren Vorhängen versehen, die andere ächzte unter einer riesigen Last von Truhen

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