Der Wald der Könige
Fäden herab und ähnelt goldenen Weidenkätzchen mit winzigen Blüten, sodass die Eiche im Frühling gleichsam mit einem gelblichen Flaum bedeckt ist.
Die weiblichen Blüten, die, wenn sie befruchtet werden, zu Eicheln heranwachsen, sind weniger gut zu sehen. Sie erinnern an winzige, halb geöffnete Knospen, die bei näherer Betrachtung drei winzige, rote Stempel preisgeben, welche den vorbeiwehenden Pollen auffangen.
Gegen Ende April war die grün belaubte Eiche bereit, ihren Samen auszustreuen. Sie war nun mit goldenen Fäden bedeckt wie eine Sagengestalt aus der Zeit, als die Götter in den Eichenhainen mit den Menschen ihre Scherze trieben. Der Pollen konnte über weite Entfernungen über das Blätterdach hinweg getragen werden und mischte sich unterwegs mit dem Pollen Hunderter anderer Eichen. So pflanzte sich die Eiche gemeinschaftlich mit unzähligen Artgenossen fort, die eine weit verzweigte Familie bildeten.
Am ersten Mai war in Minstead der Maibaum aufgestellt worden. Der Vikar, der so klug war, solche harmlosen heidnischen Bräuche zu gestatten, veranstaltete ein kleines Fest auf dem Dorfanger. Auch die Einwohner von Brook waren eingeladen.
Die Kinder hatten um den Maibaum getanzt, und die Erwachsenen hatten kräftig gezecht. Als die Feier zu Ende war, begleitete Nick Pride seine Verlobte nach Hause.
Sie gingen den Hügel oberhalb von Minstead hinauf und schlenderten gemächlich den Pfad entlang, der an der Rufuseiche vorbeiführte.
Seit ihrem seltsamen Erlebnis in Burley war fast eine Woche verstrichen, aber Jane hatte noch keine Möglichkeit gehabt, Puckle die Decke zurückzugeben. Denn es hatte ununterbrochen geregnet. Heute jedoch hatte die Sonne von einem fast wolkenlosen Himmel geschienen. Auch jetzt am Abend war es noch angenehm warm. Zufrieden spazierte Jane neben Nick her.
Nick fand nichts dabei, unter dem Rufusbaum stehen zu bleiben und sie zu küssen.
Als ihre Lippen und Zungen einander erkundeten, schien die Zeit im Schutz des ausladenden Baumes still zu stehen. Der türkisfarbene Himmel jenseits der Lichtung verfärbte sich orange. Nick umfasste Jane und drückte sie fest an sich. Seine Leidenschaft wuchs, er wollte sie ganz und gar besitzen. »Jetzt«, murmelte er. Schließlich waren sie verlobt. Sie würden heiraten. Das Verbot galt nicht mehr. Und die Natur sagte seinem Körper in diesem Augenblick nur eines: »Jetzt.«
Sie wich zurück. »Nein, das geht nicht.«
Wieder nahm Nick sie in die Arme. »Doch, Jane.«
»Nein.« Sanft, aber mit Nachdruck schob sie ihn weg und schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht.«
Er bebte vor Begierde. »Jane, bitte.« Aber sie wandte sich ab, und er stand vor Erregung keuchend hilflos da. Kurz spielte er mit dem Gedanken, sie hier und jetzt mit Gewalt zu nehmen. War sie wirklich so fest entschlossen, sich ihm erst nach der Hochzeit hinzugeben? Vielleicht hatte sie ja auch nur gemeint, dass sie ihre Regel hatte. Er war ratlos. »Wie du meinst«, sagte er schließlich mit einem Seufzer der Resignation, legte zärtlich den Arm um ihre Schulter und brachte sie nach Hause.
Unterwegs sagte sie kaum ein Wort. Wie hätte sie ihm auch erklären können, was sie wirklich bewegte? Sie begriff es ja selbst nicht ganz. Sie spürte nur, dass an diesem warmen Maiabend etwas zwischen sie getreten war, trotz allem, was sie für ihn empfand, wenn er sie fest an sich drückte. Plötzlich hatte sich eine unsichtbare Mauer erhoben, die verhinderte, dass sie sich ihm hingeben konnte. War es die Angst, weil sie noch Jungfrau war? War es die Furcht, ihre Freiheit zu verlieren? Sie wusste es nicht. Doch die Frage wollte ihr nicht aus dem Sinn. Er war der Mann, den sie heiraten wollte, und auf einmal begehrte sie ihn nicht mehr. Was hatte das zu bedeuten?
Während Nick und Jane den Maibaum am Dorfanger verließen, gab sich Clement Albion viereinhalb Kilometer entfernt der Lieblingsbeschäftigung aller pflichtbewussten Männer hin. Er redete sich ein, dass er kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte. »Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand«, murmelte er vor sich hin. »Gott ist mein Zeuge.«
Die Kampfbereitschaft seiner Miliz ließ sich wohl nicht mehr steigern. Die Signalfeuer waren aufgebaut. Aber selbst die berüchtigten Spione des Rates konnten nicht mit Sicherheit sagen, wann die große spanische Eroberungsflotte eintreffen würde. Leute wie Gorges, die angeblich gut im Bilde waren, meinten jedoch, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Hatte
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