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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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beobachtete sie, ohne sich von der Stelle zu rühren.
    »Oh«, keuchte sie erschrocken und errötete. »Er ist Eurer Katze nachgelaufen.«
    »Ja.« Puckle nickte langsam. »Es macht ganz den Anschein.« Etwas an seiner Art sagte ihr, dass er das nicht für die ganze Wahrheit hielt.
    »Er hat alles schmutzig gemacht.« Sie wies auf die Decke. »Es tut mir wirklich Leid.«
    »Das ist nicht weiter schlimm.«
    Sie starrte ihn an. Offenbar hatte er draußen im Wald gearbeitet. Auf dem schwarzen Brusthaar, das ihm aus dem offenen Kragen quoll, erkannte sie kleine Schweißtropfen. Als sie ihn im Spätsommer gesehen hatte, draußen bei Hurst Castle, hatte er sie an eine Eiche erinnert. Nun – wie bei einer Schlange, die sich häutet, oder bei einem Baum, der neue, frischgrüne Blätter treibt – wirkte seine Haut auf einmal viel heller. Sie musste an einen schlauen, hübschen Fuchs denken.
    »Ich werde die Decke waschen«, meinte sie.
    Er antwortete nicht und sah den Hund an, der den Blick mit einem fröhlichen Schwanzwedeln erwiderte.
    »Habt Ihr das alles selbst geschnitzt?« Sie deutete auf das Bett.
    »Ja. Gefällt es Euch?«
    Wieder betrachtete sie die seltsamen dunklen Fratzen und die knorrigen, geschwungenen Ornamente. Sie wusste nicht, ob sie diese schön oder abstoßend finden sollte, doch sie waren zweifellos mit großer Kunst geschnitzt. »Wundervoll«, stieß sie hervor. An Stelle einer Antwort nickte er ruhig, sodass sie nach einer kurzen Pause hinzufügte: »Eure Frau hat mir von dem Bett erzählt.«
    »Hat sie das?«
    »Im letzten September bei Hurst Castle. Damals hattet ihr gerade Holzkohle ausgeliefert.«
    »Stimmt.«
    »Ist Eure Frau hier?«, fragte Jane. Sie war nicht sicher, ob sie die seltsame Frau wieder sehen wollte.
    »Sie ist gestorben. In diesem Winter.«
    »Oh. Das tut mir Leid.« Jane fehlten die Worte. Sie starrte Jack und die völlig verschmutzte Bettdecke an. Dann griff sie nach ihrem Hund. »Soll ich die Decke mitnehmen und waschen?«
    »Das lässt sich ausbürsten«, erwiderte er.
    Jane hatte ein so schlechtes Gewissen, dieses Waldhaus betreten zu haben, dass sie sich unbedingt nützlich machen wollte. »Darf ich sie mitnehmen?«, fragte sie. »Ich werde sie Euch sauber zurückbringen.«
    »Wie Ihr wollt.«
    Also nahm Jane die Decke vom Bett, schüttelte die Kissen ordentlich aus, strich alles glatt und machte sich mit Jack auf den Heimweg. Inzwischen hatten sich ihre Schuldgefühle ein wenig gelegt.
     
     
    Die Eiche bekam im Frühling nur langsam Blätter. Mitten im Winter auf wundersame Weise ergrünt, war sie wie ihre übrigen Artgenossen wieder im Winterschlaf versunken. Das Weihnachtslaub war erfroren und abgefallen, und die Äste des Baumes waren für den Rest der kalten Jahreszeit kahl und grau geblieben. Doch im März stiegen wieder die Säfte. Allerdings grünten die Eichen im Wald nicht alle gleichzeitig, sodass die Kronen zu Frühlingsanfang ein sehr unterschiedliches Bild boten – von geschlossenen braunen Knospen bis hin zu zartgrünen Blättern und kräftigem, raschelndem Laub.
    Die Eiche bot für die verschiedensten Arten Lebensraum. Im Frühling lockten die Früchte des Efeus hungrige Amseln an. Unten am Stamm hatten die Hirsche im Winter die Efeublätter abgefressen und damit den Flechten Platz gemacht. Einige waren bereits gelb, und andere, die Algen mit grünem Chlorophyll enthielten, bekamen graugrüne Bärte. Besonders beeindruckend wirkten die großen, pelzigen Flechten, die aus dem Stamm wuchsen und als »Lungen der Eiche« bezeichnet werden. Kaum hatten sich die Knospen der Eiche geöffnet, da kam schon der grüngoldene und scharlachrote Eichelhäher durch den Wald geflogen und suchte sich eine Höhle hoch oben auf einem absterbenden Ast, um dort sein Nest zu bauen. Buchfinken mit grauen Köpfen und rosafarbener Brust zwitscherten in den Zweigen. Wenn im April alle Bäume grün waren und die Zugvögel aus den wärmeren Regionen zurückkehrten, hallte der Ruf des Kuckucks durch den Wald. Überall schossen die steifen Halme des Farns aus dem Boden, und seine eng zusammengerollten Wedel öffneten sich. Der Ginster stand in leuchtend gelber Blüte. Die Schlehenbüsche blühten dicht und weiß.
    Und während sich die Blätter entfalteten, stand die Eiche vor der langwierigen Aufgabe, ihren Samen zu verbreiten. Die mächtige Eiche erzeugt, wenn sie im Frühling erblüht, männliche und weibliche Samen. Der männliche Pollen, der vom Wind verweht werden muss, hängt in

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