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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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viele von ihnen sterben mussten.
    Doch es war zu spät, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Der Wald lichtete sich, und Adela sah den großen Hügel vor sich, wo Cola die Jagdgesellschaft erwartete. Kurz vor ihm hatte sich eine Reihe von Männern aufgebaut, die schrien und mit den Armen ruderten, damit die Hirsche in die richtige Richtung zum Eingang der Falle liefen. Die ersten Tiere hatten ihn bereits erreicht, nur wenige Meter dahinter folgten die Reiter in vollem Galopp. Zu Adelas Linken trieb Martell die Hirschkühe heran, die einen Ausbruchsversuch unternommen hatten. Wie eine Woge brandeten sie an ihr vorbei, und die weißliche Hirschkuh war die Letzte im Rudel. Die Tiere stürmten an Colas Hügel vorüber. Adela bemerkte, dass dahinter, zwischen der Wiese und dem Beginn der Anhöhe, nur wenige Leute standen. Doch die Hirsche, welche, die Reiter zu ihrer Linken, an ihnen vorbeiströmten, nutzten diese Gelegenheit nicht. Die weißliche Hirschkuh war ein wenig zurückgeblieben. Nachdem sie mit den anderen in die Falle eingebogen war, schien sie kurz zu zögern, bevor sie sich in den Tod treiben ließ.
    Und dann tat Adela etwas Seltsames.
    Sie wusste nicht, warum, und sie handelte ganz unwillkürlich, als sie ihrem Pferd die Sporen gab, an Walter vorbeigaloppierte, ihn rasch überholte und geradewegs auf die weißliche Hirschkuh zuhielt. Ohne auf Walters Flüche zu achten, ritt sie weiter und stand wenige Sekunden später zwischen der Hirschkuh und der restlichen Herde. Hinter ihr riefen die Männer. Sie wandte sich nicht um. Die Hirschkuh erschrak und wollte fliehen. Doch Adela spornte ihr Pferd an und drängte die Hirschkuh weg von der großen Falle. Die Palisade war nur hundert Meter entfernt.
    Sie musste dafür sorgen, dass die Hirschkuh sich links davon hielt.
    Endlich vollführte die Hirschkuh einen raschen, ängstlichen Sprung und verhielt sich damit so, wie Adela es gehofft hatte. Kurz darauf rasten die beiden zum Erstaunen der Zuschauer gemeinsam über die Wiese davon und auf die Heide hinaus.
    »Lauf los«, murmelte Adela. »Beeil dich.« Die weißliche Hirschkuh ergriff die Flucht. »Lauf!«, rief Adela, die befürchtete, dass die Jäger ihnen bereits mit gespannten Bogen nachsetzten. Vor Angst und Scham wagte sie es nicht, sich umzusehen, während sie die kleine Hirschkuh weiter vor sich hertrieb. Endlich sprang das Tier über die Heide davon und hielt auf den nächsten Wald zu. Adela galoppierte noch ein Stück und blickte ihr nach, bis sie sich vergewissert hatte, dass sie im Wald verschwunden war.
    Doch was sollte sie jetzt tun? Sie stand allein mitten auf der Heide. Als sie sich umdrehte, wurde ihr klar, dass niemand ihr gefolgt war. Die Anhöhe und die Palisade schienen verlassen. Da sich die Jäger auf der anderen Seite befanden, konnte sie nicht einmal mehr ihr Rufen hören. Nur das leise Heulen des Windes drang ihr ans Ohr. Adela wendete ihr Pferd. Ohne zu wissen, wohin sie wollte, ritt sie die Heide entlang und folgte dann dem Verlauf der Palisade. Etwa einen halben Kilometer unterhalb des Walls führte sie ihr Pferd am Zügel durch den Wald.
    Adela erreichte eine große Lichtung. Der weiche Boden war mit Moos und Gras bewachsen, sodass sie nun traben konnte. Sie war immer noch allein.
    Oder wenigstens beinahe. Auf dem Stumpf eines umgestürzten Baumes stand, die vornübergebeugte Haltung, die buschigen Augenbrauen waren unverwechselbar, jener gnomenhafte, merkwürdige Bauer, den sie bereits am Vormittag gesehen hatte. Aber wie war er hierher gekommen? Wortlos blickte er ihr nach, als sie die Lichtung durchquerte.
    Da sie sich an Edgars Verhalten erinnerte, hob sie die Hand zum Gruß. Diesmal jedoch erwiderte er ihn nicht mit einem Nicken, und sie erinnerte sich, gehört zu haben, dass die Waldbewohner Fremden nicht immer wohlgesonnen waren.
    Danach ritt sie fast eine Stunde lang weiter. Sie brachte es einfach nicht über sich, nach Lyndhurst zurückzukehren, wo sie mit Sicherheit nur die zornige Miene Walters und das verächtliche Grinsen der Jäger erwarten würden. Was würde Hugh de Martell nun von ihr halten? Der Gedanke, diesen Leuten unter die Augen zu treten, war ihr unerträglich.
    Im Schutz des Waldes setzte sie ihren Weg fort. Sie wusste nicht genau, wo sie sich befand, schätzte anhand des Sonnenstandes, dass sie nach Süden ritt, und wähnte sich bald in der Nähe des Weilers Brockenhurst.
    Als sie grübelnd an einer Weggabelung stand und plötzlich einen Freudenruf hinter sich

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