Der Wald der Könige
darunter ein Mädchen mit nachdenklicher Miene stehen. Die junge Frau machte einen verständigen Eindruck. Lady Albion hielt vor ihr an. »Guten Tag, mein Kind«, sagte sie freundlich. »Wie ich sehe, steht Ihr unter einem Baum, von dem es heißt, dass er Wunder vollbringt.«
Ja, erwiderte Jane höflich, so sei es. Und sie erzählte der fremden Dame von dem grünen Laub im Winter und der Rufuslegende.
»Vielleicht«, erwiderte Lady Albion, »handelt es sich um ein Zeichen Gottes.« Sie wies auf die anderen beiden Bäume. »Ist unser Herr nicht gemeinsam mit zwei Dieben gekreuzigt worden?«
»Und dann sprechen wir ja auch von der Heiligen Dreifaltigkeit, Mylady«, ergänzte das Mädchen.
»Da habt Ihr ganz Recht, mein Kind«, lobte Albions Mutter. »Ist das nicht der Beweis dessen, dass wir an die wahre Kirche glauben sollen?«
»Das kann sein, Mylady. Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht«, entgegnete Jane wahrheitsgemäß.
»Dann denkt jetzt darüber nach«, befahl Lady Albion streng. Ein wenig freundlicher fügte sie hinzu: »Seid Ihr ein frommes Kind unserer heiligen Kirche?«
Jane Furzey hatte noch nie von Albions Mutter gehört. Schließlich lag Brook sechzehn Kilometer von Albions Haus entfernt, und die Lady hatte den New Forest fast fünfzehn Jahre vor Janes Geburt verlassen. Also hatte sie keine Ahnung, wer diese beeindruckende Frau mit dem herrischen Auftreten sein mochte. Doch nun starrte sie sie an, als sei ihr plötzlich ein neuer Gedanke gekommen.
Jane hatte niemals die Königin gesehen. Jeden Sommer bereiste Königin Elisabeth einen Teil ihres Königreiches und hatte bereits die Grafschaft besucht, allerdings noch nie den New Forest. War es möglich, dass Ihre Majestät gekommen war, um die Verteidigungsanlagen an der Küste in Augenschein zu nehmen? Aber sie würde doch sicherlich nicht ohne Gefolge umherreiten. Jane erschien es zwar seltsam, aber vielleicht waren die Herren ja ganz in der Nähe und würden jeden Augenblick eintreffen. Die prächtige Kleidung der Lady, ihre stolze Art und ihre freundlichen Worte passten eindeutig zu den Beschreibungen der Königin, die Jane kannte. Und wenn sie es nicht selbst ist, dachte sie, ist es gewiss eine wichtige Persönlichkeit. »O ja, Mylady«, meinte sie deshalb und machte einen unbeholfenen Knicks. Sie war nicht sicher, was die majestätische Dame ihr sagen wollte, aber sie hatte nicht vor, ihr zu widersprechen.
Albions Mutter lächelte. In allen drei Ortschaften, in denen sie heute gewesen war, hatte sie bemerkt, dass viele der Bauern – vielleicht sogar die meisten – noch dem alten Glauben anhingen. Mit dieser Einschätzung hatte sie vollkommen Recht. Und nun bestätigte dieses kluge Mädchen ihre Vermutung.
Da fiel ihr noch etwas ein: »Es heißt, mein Kind, dass die Spanier kommen. Was wird dann geschehen?«
»Die Miliz wird sich ihnen entgegenstellen, Mylady. Mein Bruder«, fügte Jane eifrig hinzu, »und mein Verlobter« – bei diesem letzten Wort zögerte sie leicht – »gehören beide dazu.«
»Und sind sie auch fest im wahren Glauben?«
»O ja.«
»Und gewiss auch tapfere Männer«, fuhr die Lady freundlich fort. »Wer ist denn ihr Befehlshaber?«
»Ein edler Herr, Mylady.« Jane hoffte, dass das die richtige Anrede für die Königin war. »Sein Name ist Albion.«
»Albion?« Genau auf diese Antwort hatte sie gehofft. »Und werden sie ihm gehorsam folgen?«
»Aber natürlich, Mylady.«
»Dann lasst mich Euch etwas fragen, mein Kind: Falls sich herausstellt, dass die Spanier an unserer Küste in Wahrheit nicht unsere Feinde, sondern unsere Freunde sind, was wird Euer Bruder dann tun?«
Jane sah sie verdattert an. Ihr fehlten die Worte.
»Wenn sein guter Befehlshaber Albion ihm Anweisung dazu erteilt?«
Janes Miene erhellte sich. »Er wird treu gehorchen. Das verspreche ich Euch, Mylady, und alles tun, was Albion von ihm verlangt.«
»Gut gesprochen, mein Kind!«, rief die Lady aus. »Ich sehe, Ihr seid England treu ergeben.« Und mit einem Winken, das einer Königin alle Ehre gemacht hätte, ritt sie in Richtung Brockenhurst davon.
Als sie nördlich des Dorfes ihrem unglücklichen Sohn begegnete, begrüßte sie ihn mit freundlichen Worten, die sein Unbehagen noch steigerten: »Ich habe mit den braven Leuten des New Forest geredet, Clement. Alles wird gut. Du bist beliebt, und man vertraut dir, mein Sohn.« Sie strahlte ihn beifällig an. »Du brauchst nur zu befehlen, dann werden sie sich erheben.«
Zwei
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