Der Wald der Könige
und ergreifend die Völlerei, vulgäre Fressgelage, die oft nur einen Vorwand dafür darstellten, so viele Lebensmittel wie möglich zu vergeuden. Aber selbst dieser Zeitvertreib verblasste neben der Leichtfertigkeit, mit der König Jakob seinen Freunden Gelder aus der Staatskasse zuschanzte. Alter Adel wie die Howards und Emporkömmlinge wie die Familie des hübschen jungen Villiers erhielten Gelegenheit, sich ordentlich die Taschen voll zu stopfen. Ämterschacher, Vetternwirtschaft, Bestechung und schamlose Erpressung gediehen prächtig auf diesem fruchtbaren Boden.
Wenn Diebe stehlen und Narren Geld verschleudern, kann ein kluger Mann sich eine goldene Nase verdienen. Und William Albion hatte die Gelegenheit am Schopf gepackt. Als Jakobs schüchterner und empfindsamer Sohn Karl 1625 den Thron bestieg, kehrte Albion als reicher Mann in den New Forest zurück. Außerdem hatte er eine gute Partie gemacht, seine Frau war Erbin eines bescheidenen Vermögens und zwölf Jahre jünger als er. Er bewohnte einen stattlichen Herrensitz namens Moyles Court im Avontal – zufälligerweise gehörten dazu auch die früheren Ländereien seines entfernten Vorfahren, des Försters Cola. Außerdem hatte sein Vater ihm das Haus Albion mitten im New Forest vermacht, und er besaß weitere Ländereien auf den Pennington Marsches. Darüber hinaus gehörte ihm der Großteil des Dorfes Oakley.
Das Haus Albion hatte er für Alice neu aufbauen lassen. Sein übriges Eigentum würde, wie er hoffte, auf seinen Sohn übergehen. Doch obwohl seine junge Frau ihm noch einige Kinder schenkte, starben sie alle im Säuglingsalter. Die Zeit verstrich erbarmungslos. Und irgendwann war es zu spät gewesen. Im letzten Jahr hatte er seine Frau verloren. Doch William Albion hatte keine Lust, mit sechzig noch einmal eine Familie zu gründen.
Alice, die nun achtzehn war, würde deshalb alles erben.
William hatte sich diese Entscheidung reiflich überlegt. Schließlich musste er auch an seinen jüngeren Bruder denken.
Rein juristisch betrachtet, konnte William sein Land vermachen, wem er wollte. Aber er war sicher, der alte Clement hätte sich gewünscht, dass Francis nicht leer ausging. Und wenn er Alice das Haus Albion nicht schon versprochen hätte, so hätte er es ja auch Francis überlassen können. Allerdings durfte man dabei eine weitere Frage nicht außer Acht lassen.
Was hatte Francis je getan, dass er dieses Erbe verdient hätte? Trotz aller Hilfe und Förderung durch seinen Vater hatte er jahrelang gefaulenzt und mehr oder weniger in den Tag hineingelebt. Er wohnte noch immer in London, als – nicht sehr erfolgreicher – Kaufmann. Obwohl William seinen jüngeren Bruder gern hatte, konnte er die Ungeduld nur schwer zügeln, die ein erfolgreicher Mann gegenüber einem weniger tüchtigen Verwandten empfindet. Bei der bloßen Erwähnung seines Namens zuckte William unwillkürlich zusammen, weshalb nur selten über Francis gesprochen wurde. Wie viele Leute, die zu Geld gekommen sind, betrachtete er es als Verschwendung, einem Habenichts etwas zu geben. Natürlich ließ sich das auch ein wenig wohlwollender ausdrücken: Konnte man von ihm verlangen, dass er seine geliebte Tochter enterbte, nur damit der Name Albion im New Forest nicht ausstarb? Nein, Francis musste allein sein Glück machen. Alice war und blieb die einzige Erbin.
Zu Alices Erstaunen hatte ihr Vater vor einigen Monaten während eines beiläufigen Gesprächs über die Ehe den Namen eines möglichen Schwiegersohns besonders lobend erwähnt: John Lisle.
Alice hatte ihn bei einem Fest im prächtigen Haus der Buttons unweit von Lymington kennen gelernt, zu dem sich einige Familien des Landadels versammelt hatten. Er war ein paar Jahre älter als Alice und seit kurzem verwitwet. Auf Alice hatte er einen feinfühligen und klugen, wenn auch ein wenig zu ernsten Eindruck gemacht.
»Aber Vater«, erinnerte sie ihn. »Seine Familie…«
»Es ist eine alte Familie.« Die Lisles waren in der Tat alteingesessen und besaßen schon seit vielen Jahren Ländereien auf der Insel Wight.
»Ja, doch sein Vater…« Die ganze Grafschaft wusste über John Lisles Vater Bescheid. Er hatte seine beträchtliche Erbschaft verschleudert und seinen guten Ruf ruiniert. Nachdem seine Frau ihn verlassen hatte, fing er zu trinken an und war schließlich sogar hochverschuldet im Gefängnis gelandet. »Ist da nicht schlechtes Blut…?«
Schlechtes Blut war ein Lieblingswort des Landadels. Ein oder zwei
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