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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seines Vaters überhaupt je geteilt hatte, hatte man ihm diese Flausen schon vor langem ausgetrieben. Er war hoch gewachsen, dunkelhäutig, leutselig, ein eingefleischter Zyniker, der sich danach sehnte, endlich dem Exil zu entrinnen. Außerdem war er fest dazu entschlossen, sich nicht noch einmal aus dem Land jagen zu lassen. Darüber hinaus war er kompromissbereit und völlig mittellos. Also endlich ein Stuart, der über die nötige Vorbildung verfügte, um König von England zu werden. Man trat in Verhandlungen. Der König würde zurückkehren. Die Engländer bereiteten eine Freudenfeier vor, als hätten sie seinen Vater nie geköpft.
     
     
    An einem sonnigen Tag Anfang Mai traf John Lisle aus London ein. Alice hatte mit ihrer Tochter am Fenster gesessen, und nun liefen sie hinaus, um ihn zu begrüßen. Obwohl er sich fröhlich gab, bemerkte Alice einen Anflug von Besorgnis. Als sie sich nach den neuesten Nachrichten erkundigte, lächelte er und meinte: »Das erzähle ich dir beim Essen.«
    Bei Tisch schilderte er der Familie das neue England in den schönsten Farben. Das Parlament, die Armee, die Bevölkerung Londons, sie alle würden sich miteinander und mit dem König versöhnen. Es würden Frieden und Harmonie herrschen. Niemand fordere Vergeltung. Erst nachdem die Kinder sich zurückgezogen hatten, fragte Alice: »Du hast gesagt, es werde keine Racheakte geben. Stimmt das wirklich?«
    John Lisle schenkte sich noch ein Glas Wein ein und antwortete: »Beinahe.« Zögernd sprach er weiter. »Natürlich ist noch die Frage der Königsmörder offen. Zufälligerweise« – er bemühte sich um einen leichten Ton, so als erörtere er einen spannenden Gerichtsfall – »wird dieses Anliegen nicht vom König, sondern von den Royalisten vorangetrieben. Die Herren wollen Blut sehen, nach all den Verlusten, die sie erlitten haben.«
    »Und?«
    »Nun…«, erwiderte er beklommen. »Den Königsmördern wird der Prozess gemacht, und sie werden vermutlich hingerichtet. Das entscheidet der König, aber ich halte es für wahrscheinlich.«
    Entsetzt starrte sie ihn an, bevor sie ruhig meinte: »Du bist ein Königsmörder, John.«
    »Ah.« Er setzte sein Anwaltslächeln auf. »Darüber kann man verschiedener Ansicht sein. Du darfst nicht vergessen, Alice, dass ich das Todesurteil des Königs nicht unterschrieben habe. So einfach kann man mich also nicht als Königsmörder bezeichnen.«
    »Aber man hat dich schon immer so genannt, John. Du warst Cromwells Verbündeter, du hast die Hinrichtung des Königs befürwortet, du hast mitgeholfen, die Anklageschrift aufzusetzen…«
    »Wohl wahr. Aber…«
    Wollte er ihr Hoffnung machen und ihr die Wahrheit schonend beibringen, oder war es möglich, dass ihr kluger Mann angesichts dieser Krise die Augen vor den Tatsachen verschloss?
    »Sie werden dich hängen, John«, sagte sie. Er schwieg. »Was willst du tun?«
    »Ich glaube, ich sollte ins Ausland gehen. Nicht für lange, höchstens ein paar Monate.« Er lächelte beruhigend. »Ich habe Freunde, die sich beim König für mich verwenden werden. Sobald die Frage der Königsmörder geklärt ist, komme ich zurück. Das erscheint mir am vernünftigsten. Und wie denkst du darüber?«
    Was sollte sie dazu sagen? Nein, bleib bei deiner Frau und deinen Kindern, bis sie dich abholen, um dich zu hängen? Natürlich nicht. Sie nickte langsam. »Es tut mir Leid, John«, meinte sie bedrückt. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln. »Aber ich glaube, lebendig bist du uns lieber. Wann reist du ab?«
    »Morgen bei Tagesanbruch.« Er betrachtete sie ernst. »Es wird nicht lange dauern.«
     
     
    Sie sollte ihn nie wieder sehen.
    Was den König anging, behielt er Recht. Mochte der junge Karl II. auch noch so viele Fehler haben, nach Rache dürstete es ihn nicht. Nachdem im Oktober sechsundzwanzig Königsmörder aufgeknüpft worden waren, wies er seinen Rat in aller Stille an, die Suche nach weiteren aufzugeben. Wenn sich einer von ihnen blicken ließ, würde man ihn hängen müssen, doch solange sie im Verborgenen blieben, wollte er sie in Ruhe lassen. Allerdings genügten diese Vergeltungsmaßnahmen den Royalisten nicht, weshalb sie eine in ihren Augen wunderbare Idee ausbrüteten. Im folgenden Januar wurden die Leichen von Cromwell und seinem Schwiegersohn Ireton aus ihren Gräbern geholt und für alle gut sichtbar am Tyburn Galgen in London aufgehängt. Zweifellos war es eine weise Entscheidung gewesen, dafür den Winter und nicht die warme

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