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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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mir gegeben. Ich habe versprochen, es zu behalten. Ich habe es versprochen.«
    Sie hatte das Kreuz versteckt, damit es ihr niemand wegnehmen konnte. Ein Jahr später war ihre Mutter gestorben. Wahrscheinlich war ihre Großmutter inzwischen auch längst tot. In Haus Albion wurde sie nie erwähnt. Aber Fanny hatte immer gut auf das Kreuz geachtet.
    »Und wer war Ihre Großmutter?«, fragte Gilpin.
    »Meine Mutter war, wie Sie wissen, eine Miss Totton«, erwiderte Fanny. »Also war es sicher die alte Mrs. Totton, Mr. Tottons zweite Frau. Seine erste, von der meine Cousins Totton abstammen, war eine geborene Burrard. Vermutlich gehörte sie zu einer der alteingesessenen Seefahrerfamilien Lymingtons.«
    »Ganz gewiss«, stimmte Gilpin zu. »Vielleicht war sie eine Button.« Er nickte. »Wenn sie in Lymington geheiratet haben, steht es wahrscheinlich im Kirchenregister.«
    »Aber ja. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ganz bestimmt haben Sie Recht.« Fanny lächelte. »Hätten Sie irgendwann Zeit, mit mir nachzusehen?«
    Der Abend dämmerte. Die beiden Männer kamen aus unterschiedlichen Richtungen. Kein Beobachter hätte vermuten können, dass sie ein Treffen vereinbart hatten.
    Charles Louis Marie, Graf d’Hector, General, Aristokrat und den legendären drei Musketieren an Tapferkeit in nichts nachstehend, schlenderte so lässig über die High Street, als unternehme er nur einen Abendspaziergang. Währenddessen ging sein vertrauter Kamerad ebenso unauffällig eine Seitengasse entlang.
    Charles Louis Marie war auch heute wieder der Inbegriff der Eleganz. Während die meisten Männer ihr Haar unbedeckt trugen, schmückten er und die übrigen Emigranten sich mit den kurzen, gepuderten Perücken, die am französischen Hofe üblich gewesen waren. Eine Seidenjacke und Kniehosen rundeten seine Aufmachung ab, als wolle er sagen: »Wir verabscheuen die Revolution in unserem Land nicht nur, sondern leugnen sogar, dass sie überhaupt stattgefunden hat.«
    Es lebten etwa ein Dutzend Herren wie der Graf d’Hector in Lymington, manche auch mit ihren Familien. Die meisten hatten bei wohlhabenden Kaufleuten Unterkunft gefunden. Außerdem waren noch drei Einheiten Soldaten in Lymington stationiert. Vierhundert Mann waren in der kleinen Kaserne der Stadt untergebracht, weitere vierhundert Schützen bewohnten die Mälzerei in der New Street, und sechshundert Matrosen der königlich französischen Marine waren auf Bauernhöfen unweit von Buckland einquartiert. Die Anwesenheit dieser Männer stellte eine große Belastung für die Gemeinde dar, doch man duldete sie den galanten Offizieren zuliebe, die sie befehligten. Der Graf hatte erst am Vortag acht seiner Leute an einer Ecke der Church Street ordentlich auspeitschen lassen, um den Einwohnern von Lymington zu zeigen, dass er Disziplinlosigkeit nicht unwidersprochen duldete. Außerdem gaben sich die Offiziere größte Mühe, sich bei den Damen der Stadt und deren Ehegatten beliebt zu machen. Bis jetzt waren sie deshalb noch willkommene Gäste. Aber der Graf machte sich keine falschen Hoffnungen. Wenn ihm auch nur der kleinste Fehler unterlief, würde man ihm das Leben in Lymington gründlich vergällen.
    Deshalb hatte ihn der Brief aufgeschreckt, den Grockleton ihm am Morgen zugesteckt hatte. Der Grund allerdings war nicht Mrs. Grockletons Einladung gewesen, er möge doch mit einigen anderen Offizieren nächste Woche zum Abendessen kommen. Nein, es lag an dem anderen Schreiben, das Mr. Grockleton ohne Wissen seiner Gattin in den Umschlag geschmuggelt hatte. Wenn der Franzose diese Nachricht richtig las, handelte es sich um eine Angelegenheit, die äußersten Takt erforderte. Und deshalb hatte der Graf als Vorsichtsmaßnahme einen Freund gebeten, bei der Unterredung an diesem Abend als Zeuge zu fungieren.
    »Ich werde es keinem der anderen Offiziere verraten, mon ami«, hatte er erklärt. »Nur Ihnen, weil ich nicht nur Ihrem guten Rat, sondern auch Ihrer Verschwiegenheit vertraue.«
    Als er an der Kirche von der High Street abbog, war es fast dunkel.
    Von allen Erfindungen englischer Baumeister im letzten Jahrhundert gab es wohl keine hübschere als eine besondere Form der Einfriedung, die man hauptsächlich rund um Gärten antraf.
    Man nannte sie eine Zickzackmauer, denn statt wie eine gewöhnliche Mauer in einer geraden Linie zu verlaufen, war sie gewellt und wies Vertiefungen auf, die an kleine Sofas erinnerten. Am weitesten war sie in den Grafschaften von East Anglia verbreitet,

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