Der Wald der Könige
doch aus irgendeinem Grund – vielleicht hatte sich ein Baumeister aus East Anglia nach Lymington verirrt – gab es auch hier eine Reihe davon. In vielen Fällen waren diese Mauern so hoch, dass man nicht darüberblicken konnte. Die Vertiefungen waren groß genug, um mehreren Männern Platz zu bieten und sie vor neugierigen Blicken zu schützen. Und aus genau diesem Grund hatte Samuel Grockleton den französischen Grafen gebeten, sich bei Abenddämmerung in der Gasse hinter seinem Garten einzufinden, der von einer Zickzackmauer begrenzt wurde.
Grockleton wartete lautlos, bis jemand leise mit einer Münze auf die andere Seite der Mauer klopfte, wo er zwischen zwei Ziegelsteinen den Mörtel herausgekratzt hatte. Wenn man den Ziegel herauszog, entstand eine Lücke, durch die man sich unterhalten konnte. Er erwiderte das Klopfzeichen und fragte: »Sind Sie das, Graf?«
»Ja, mon ami. Ich bin hier, wie Sie mich gebeten haben.«
»Ist Ihnen jemand gefolgt?«
»Nein.«
»Wir müssen vorsichtig sein. Wussten Sie, dass mein Haus überwacht wird?«
»Das überrascht mich nicht. Angesichts Ihrer Stellung ist das nicht weiter erstaunlich.«
»Obwohl Sie so häufig bei uns speisen, darf ich nicht riskieren, dass man uns zwei miteinander sprechen sieht. Es könnte getratscht werden.«
»Daran zweifle ich nicht.«
»Ich bin beauftragt, Ihnen mitzuteilen, Graf, dass die Regierung Seiner Majestät Ihre Hilfe braucht.« Das stimmte nicht ganz. Niemand hatte Grockleton diese Anweisung gegeben. Da er über die Bestechlichkeit bei den Behörden Bescheid wusste, hatte er beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Wenn er Erfolg hatte, würde man ihn belobigen.
»Mein lieber Freund, ich stehe Ihrer Regierung sehr zu Diensten.«
»Dann lassen Sie mich erläutern, Graf«, begann Grockleton, »was Sie für mich tun können.«
Nicht nur mit Brandy, sondern auch mit Gold und mit wichtigen Neuigkeiten wurde illegaler Handel betrieben. Insbesondere an der Südküste Englands war der Patriotismus nicht sehr stark ausgeprägt. Offiziere der britischen Marine zogen in die Schlacht, weil sie auf reiche Beute von den eroberten Schiffen hofften. Und ihre Männer kämpften, da sie entführt und auf hohe See verschleppt worden waren. Selbst ein so beliebter Befehlshaber wie Admiral Nelson wagte es nicht, seine Matrosen in einem englischen Hafen an Land zu lassen, denn er wusste genau, dass die meisten dann auf Nimmerwiedersehen verschwunden wären. Und die südenglischen Schmuggler waren nur zu bereit, wichtige Meldungen und Neuigkeiten an die Feinde des Landes zu verkaufen.
»Meine Chancen, mit Hilfe englischer Truppen Schmuggler abzufangen, stehen nicht gut«, erklärte Grockleton dem Franzosen.
Aber was war mit französischen Soldaten? Der Einfall – ein Geniestreich gewissermaßen – war Grockleton vor einer Woche gekommen. Die Franzosen hatten keine Freunde und Verwandten vor Ort und auch keine Verbindungen zu den Schmugglern. Außerdem langweilten sie sich und brauchten eine Aufgabe. Insgesamt waren sie mehr als tausend Mann. Und ihre Anwesenheit wurde von der britischen Regierung nur geduldet. Wenn der Zollinspektor mit ihrer Unterstützung dem Schmuggel einen Riegel vorschob, war ihnen der Dank der Regierung sicher. Auch würde ihm sein Anteil an der Schmuggelware zu einem bescheidenen Vermögen verhelfen.
Falls der Franzose ihm jedoch die Hilfe verweigerte, hatte Grockleton allen Grund, diese Weigerung London zu melden. Der König selbst würde es erfahren, und er würde gar nicht zufrieden sein.
Es war überflüssig, dies dem Franzosen eigens mitzuteilen. »Aber es wird absolut geheim bleiben müssen«, erwiderte er, nachdem Grockleton ihm seinen Plan erläutert hatte.
»Gewiss.«
»Ich werde es meinen Männern erst sagen, wenn es so weit ist. Außerdem müssen wir uns einen Vorwand ausdenken, um sie zusammenzurufen, eine Parade vielleicht, und dann…«
»Ganz richtig. Darf ich also auf Ihre Unterstützung hoffen?«
»Natürlich. Das versteht sich doch von selbst. Der Wunsch des englischen Königs ist mir Befehl.«
»Dann danke ich Ihnen, Sir«, meinte Grockleton und schob den Ziegelstein zurück an seinen Platz.
Eine Weile schlenderten der Graf und sein Kamerad schweigend die Straße entlang.
»Nun, mon ami«, sagte der Graf schließlich. »Haben Sie alles gehört?« Sein Begleiter nickte. »Es bringt uns«, fuhr der Graf fort, »in eine unangenehme Lage. Finden Sie, dass ich richtig reagiert
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