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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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schimmerte bereits rosig. Die frische Luft prickelte ihr im Gesicht. Nur das leise Zwitschern der Vögel war zu hören. Ein leichter Geruch nach Hopfen stieg ihr in die Nase. Im Haus rührte sich noch nichts. Doch jenseits des Berges sah sie einen Bauern den Weg entlang gehen. Sie holte tief Luft.
    Adela zog ihr Hemd und ein Übergewand aus Leinen an, schnürte den Gürtel zu, fuhr sich mit den Fingern durchs offene Haar, schlüpfte in ihre Pantoffeln und verließ rasch das Haus. Es war ihr gleichgültig, dass sie ein wenig zerzaust aussah, denn um diese Zeit würde sie ohnehin niemandem begegnen.
    Durch ein Tor betrat sie den Garten hinter dem Haus, wo Kräuter und Geißblatt wuchsen. Wilde Erdbeeren ragten zwischen den Grashalmen empor und überzogen das Grün mit winzigen roten Tupfen. In den Mauerecken hingen Spinnenweben. Alles war mit Tau bedeckt, und Adela fühlte sich wie im Garten eines Schlosses oder eines Klosters in ihrer normannischen Heimat.
    Sie blieb eine Zeit lang dort und genoss die friedliche Stille.
    Als sie aus dem Garten kam, war noch immer niemand zu sehen, und sie beschloss, zu den Ställen zu gehen, die in den großen, zu einem Viereck angeordneten Nebengebäuden untergebracht waren. Sie wurde auf eine kleine Tür aufmerksam, die tief unten in der Seitenmauer eingelassen war. Drei steinerne Stufen führten hinab. Adela nahm an, dass die Tür zu einem Keller führte und verschlossen war. Aber wie immer siegte ihre Neugier, und als sie an der Tür rüttelte, öffnete sich diese zu ihrer Überraschung.
    Das niedrige Kellergewölbe erstreckte sich über die gesamte Länge des Gebäudes. Die Decke wurde von drei dicken Steinsäulen in der Mitte gestützt, die den Raum in Nischen teilten. Durch die offen stehende Tür und ein kleines vergittertes Fenster hoch oben in der Wand fiel Licht herein.
    Es dauerte eine Weile, bis sich Adelas Augen an die Dämmerung gewöhnt hatten. Aber bald stellte sie fest, dass hier unten die üblichen Gegenstände aufbewahrt wurden – allerdings nicht in dem Durcheinander, das man sonst so häufig in Lagerräumen antraf. Alles war ordentlich gestapelt. Sie entdeckte Kisten und Säcke. Eine Nische beherbergte Fässer mit Wein und Bier, eine andere Zielscheiben zum Bogenschießen, Bogen ohne Sehnen, Pfeile, ein halbes Dutzend Fischnetze, Hundehalsbänder, Falknerhandschuhe und Hauben. Erst in der letzten Nische, wo Holzspäne auf dem Boden lagen, sah sie etwas Seltsames, eine große, leicht schimmernde Gestalt im Schatten, die so sehr einem Menschen ähnelte, dass sie zusammenfuhr.
    Es war eine Holzpuppe. Das Schimmern rührte daher, dass sie mit einem langen Kettenhemd und einem Eisenhelm bekleidet war. Dahinter bemerkte sie eine zweite Puppe, die das lederne Untergewand trug. Auf einem Ständer daneben lag ein Sattel mit hohem Knauf, an dem ein langer, beschlagener Schild lehnte. Daneben entdeckte sie auf einem weiteren Gestell ein riesiges Schwert, zwei Lanzen und einen Morgenstern. Adela schnappte nach Luft. Offenbar handelte es sich hier um Hugh de Martells Rüstung.
    Sie war zu klug, um etwas zu berühren. Schließlich waren Kettenhemd und Waffen ordentlich eingefettet, damit sie nicht verrosteten. Im Dämmerlicht konnte sie sehen, dass nicht ein Kettenglied verrutscht war. In der Luft lag ein Geruch nach Öl, Leder, Eisen und harzdurchtränkten Holzspänen, der sie seltsam erregte. Ohne nachzudenken, beugte sie sich dicht zu der Holzpuppe im Kettenhemd vor und schnupperte.
    »Mein Großvater hat eine Streitaxt benutzt.«
    Die Stimme erklang so plötzlich dicht neben ihrem Ohr, dass sie fast aufgeschrien hätte. Sie sprang hoch und wirbelte herum, wobei sie fast mit ihm zusammengestoßen wäre.
    Hugh de Martell stand reglos da, aber er kicherte. »Habe ich Euch erschreckt?«
    »Ich…« Sie versuchte, wieder zu Atem zu kommen, und spürte, wie sie heftig errötete. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse. »Oh, mon Dieu. Ja.«
    »Das tut mir Leid. Ich kann mich ziemlich lautlos bewegen. In dieser Dunkelheit habe ich Euch zuerst für einen Dieb gehalten.« Er hatte sich immer noch nicht von der Stelle gerührt. Sie standen so dicht beieinander, dass kaum noch ein Schatten zwischen sie gepasst hätte.
    Auf einmal dachte Adela daran, dass sie nur halb bekleidet war. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. »Eine Streitaxt?« Etwas anderes fiel ihr im Augenblick nicht ein.
    »Ja. Wir Normannen sind schließlich alle Wikinger. Er war ein großer, rothaariger Mann.« Martell

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