Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
lächelte. »Das dunkle Haar habe ich von meiner Mutter. Sie stammte aus der Bretagne.«
    »Ach, ich verstehe.« Sie nahm nichts anderes mehr wahr als sein Lederwams und den Ärmel, der seinen langen Arm bedeckte. Und sie bemerkte, dass er eine Pause machte, bevor er mit einem Lächeln weitersprach.
    »Ihr geht gerne auf Entdeckungsreise, oder irre ich mich? Erst in dem New Forest, dann hier. Ihr seid sehr abenteuerlustig, eine normannische Eigenschaft.«
    »Seid Ihr denn nicht abenteuerlustig?«, fragte sie und blickte zu ihm empor. »Oder habt Ihr das nicht mehr nötig?«
    Sein Lächeln verschwand, doch er wirkte nicht verärgert, eher nachdenklich. Natürlich hatte er genau verstanden, was sie meinte: die wohl geordneten Güter, die reiche Frau. Wie um ihn herauszufordern, hatte sie, wenn auch in höflichen Worten, angedeutet, er könne den Wikingergeist seiner Vorfahren verloren haben. »Wie Ihr seht, bin ich ein viel beschäftigter Mann«, erwiderte er leise. Bei diesen Worten strahlte er Ruhe, Selbstbewusstsein und Macht aus.
    »Ihr weist mich in meine Schranken«, entgegnete sie.
    »Ich frage mich, wo Ihr hingehört.« Seine Miene war wieder belustigt. »In die Normandie? Nach England?«
    »Ich glaube, hierher.«
    »Ihr werdet nach Winchester reisen. Eine gute Stadt, um einen Ehemann zu finden. Dort gibt es viele Leute. Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder.«
    »Vielleicht. Seid Ihr oft in Winchester?«
    »Ab und an.«
    Er trat einen Schritt zurück, musterte sie von Kopf bis Fuß. Als er sich zum Gehen anschickte, hätte sie ihm so gerne noch etwas gesagt. Aber was? Dass er eine reiche Frau geheiratet hatte, die seiner nicht würdig war? Dass er mit ihr, Adela, glücklicher geworden wäre? Doch für sie beide gab es ganz sicher keine Zukunft.
    »Kommt.« Er bedeutete ihr, ihm zu folgen. Natürlich, ja, sie musste sich anständig anziehen. Also gehorchte sie und schritt ihm voran zur erleuchteten Tür. Kurz vor der Schwelle spürte sie, wie er ihre Hand nahm, sie kurz an den Mund hob und leicht mit den Lippen darüber streifte.
    Eine höfische Geste in der Dunkelheit, die völlig unerwartet kam. Sie drehte sich zu ihm um. Ein stechender Schmerz fuhr ihr durch die Brust, und einen Augenblick stockte ihr der Atem. Er senkte den Kopf. Wie eine Schlafwandlerin trat sie durch die Tür, hinaus ins helle Sonnenlicht, das ihr in den Augen blendete. Er hatte sich umgewandt, um die Tür abzuschließen. Sie ging ins Haus, ohne noch einmal zurückzublicken.
    Der Rest des Tages verlief ereignislos. Den Großteil davon verbrachte Adela in Gesellschaft von Lady Maud. Als sie Hugh de Martell begegnete, behandelte er sie höflich, aber ein wenig kühl und herablassend.
    Auch am nächsten Morgen, als sie und Walter sich vor ihrer Abreise nach Winchester von ihm verabschiedeten, verhielt er sich förmlich und abweisend. Doch als sie sich oben auf dem Berg umdrehte, bemerkte sie eine hoch gewachsene dunkle Gestalt. Er blickte ihnen nach, bis sie außer Sichtweite waren.
     
     
    In New Forest ist der Übergang zum Herbst sanft. Die langen Sommertage werden im September unmerklich kürzer. Der torfige Heideboden speichert eine milde Wärme, die Luft duftet süß und frisch, und nur der feuchte Nebel, der über den kahlen Feldern hängt, erinnert die Menschen daran, so viele Vorräte wie möglich anzulegen, denn die immer schwächer werdende Sonne zeigt an, dass das Jahr sich seinem Ende zuneigt.
    In dieser Jahreszeit werfen die Eichen ihre grünen Früchte ab, bis der ganze Waldboden von ihnen bedeckt ist. Und Männer wie Pride bringen ihre Schweine in den Wald, damit sie sich an Eicheln und Bucheckern mästen. Dieses Recht haben sie von alters her, und selbst der normannische Eroberer wollte es ihnen nicht nehmen. »Falls die Hirsche zu viele grüne Eicheln fressen«, sagten ihm seine Förster, »werden sie krank. Aber die Schweine vertragen sie gut.« Wenn die Tage vergehen, färbt sich das Laub der Buchen gelb. Und während dieser schleichende Verfall vonstatten geht, vollzieht sich gleichzeitig eine andere, fast gegensätzliche Verwandlung. Die Stechpalme ist zweigeschlechtlich, und nun, als wolle er den herannahenden Winter begrüßen, bringt der weibliche Baum Beeren hervor, die sich in dicken, scharlachroten Büscheln vom kristallklaren Septemberhimmel abheben.
    Der Winter steht vor der Tür; es ist die Zeit des silbernen Mondes.
    Und die Zeit der Hirschbrunft.
    Der Hirsch stolzierte mitten durch seine Brunftkuhle.

Weitere Kostenlose Bücher