Der Wald der Könige
gleich ins Getümmel stürzen. Ein schwaches Licht fiel durch die Bäume. Hin und wieder hielt der Bock inne und stieß einen Brunftschrei aus.
Den Brunftschrei des Damhirsches bezeichnet man als Knören. Dazu beugt er den Kopf leicht nach unten und reckt dann zum Rufen seinen geschwollenen Hals. Das Geräusch ist nur schwer zu beschreiben – sein seltsames Grunzen, Rülpsen und Trompeten. Wer es einmal gehört hat, vergisst es nie wieder.
Dreimal gab der Bock, der in der Mitte der Brunftkuhle stand, ein mächtiges, beeindruckendes Knören von sich.
Nun erschien ein Neuankömmling zwischen den Bäumen. Mit einem Rascheln stoben die Weibchen in alle Richtungen auseinander. Der Bock trat aus dem Gebüsch hervor und stolzierte in aller Seelenruhe zur Brunftkuhle hinüber, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Es war ein Nebenbuhler, und nach seinem Geweih zu urteilen, konnte er es durchaus mit unserem Bock aufnehmen.
Die weißliche Hirschkuh erschauderte. Ihr Bock würde kämpfen.
Der Herausforderer näherte sich langsam der Brunftkuhle. Er war dunkler als der Platzhirsch, und sein Geruch stieg der Hirschkuh in die Nase, scharf und säuerlich wie Schlamm aus einem brackigen Wasser. Er sah stark aus. Er ging an ihrem Hirsch vorbei, der ihm – so war der Ritus des Kampfes – auf den Fersen folgte. Die beiden Männchen schlenderten fast lässig dahin. Sie bemerkte, wie die Muskeln an ihren kräftigen Schultern zuckten und wie ihr Geweih langsam im Takt der Schritte auf und nieder wippte. Außerdem sah die Hirschkuh, dass bei dem fremden Bock eine der kleinen gebogenen Augsprossen am Ansatz der Schaufelhaken abgebrochen war, sodass eine schartige Spitze hervorragte. Eine plötzliche Kopfbewegung, und er würde ihrem Bock ein Auge ausstechen. Die anderen Weibchen beobachteten reglos die Szene. Selbst die Vögel in den Bäumen schwiegen. Die Hirschkuh hörte nur das leise Rascheln des Laubes unter den Hufen der beiden Männchen.
Die ganze Natur wusste, dass sich nun das Schicksal des jungen Bockes entscheiden würde. Ein Bock kann einen Platzhirschen herausfordern und eine ehrenvolle Niederlage verbuchen. Vielleicht hatte sich der fremde Bock ja auf diese Weise die Augsprosse verletzt. Doch wenn zwei gleich starke Böcke aufeinander treffen, muss sich einer von ihnen geschlagen geben. Vielleicht wird er verwundet, manchmal sogar getötet. Doch am wichtigsten ist, dass er seinen Stolz verliert. Die Weibchen wissen es, der ganze Wald hat es gesehen. Er verschwindet, und seine Brunftkuhle und die Weibchen gehören dem Sieger.
Die weißliche Hirschkuh sah, dass die Rivalen das Ende der Brunftkuhle erreicht hatten, sich umdrehten und sich wieder auf den Rückweg machten. Was war, wenn nach all dem Warten nun der dunkle, säuerlich riechende Bock mit der gefährlichen Augsprosse ihren Bock verletzte und sie nahm? Von Rechts wegen gehörte sie dem Sieger. So war es nun einmal. Dann gab der Bock das Zeichen.
Ein Rempler war das Signal. Ihr Bock war ein wenig vorgetreten, sodass seine Schulter an das Hinterteil des Herausforderers stieß.
Der dunkle Bock wirbelte herum. Kurz entstand eine Pause, als die beiden Männchen sich auf die Hinterbeine stemmten. Dann hallte ein Krachen durch den Wald. Die riesigen Geweihe waren zusammengestoßen.
Zwei ausgewachsene kämpfende Böcke sind ein Furcht erregender Anblick. Als die beiden kraftvollen Körper sich mit vorgereckten, geschwollenen Hälsen grunzend aufeinander warfen, wich die Hirschkuh unwillkürlich zurück. Die beiden wirkten auf einmal so riesig und gefährlich. Was war, wenn einer von ihnen es sich anders überlegte und sich auf sie stürzte? Sie waren gleich stark. Eine Weile schoben sie sich hin und her, die gesenkten Geweihe ineinander verkeilt, die Hinterläufe in den Boden gestemmt, die Muskeln bis zum Zerreißen gespannt. Ihr Bock schien die Oberhand zu gewinnen.
Doch dann bemerkte sie, dass seine Hinterläufe ins Rutschen gerieten. Der Herausforderer drängte ihn immer weiter – Zentimeter um Zentimeter, Meter um Meter – zurück. Ihr Bock krallte die Klauen in den Boden, fand jedoch auf dem glitschigen Laub keinen Halt. Sie sah, wie er die Beine durchstreckte. Mit angespanntem Körper und starren Läufen rutschte er immer weiter zurück. Da versetzte ihm sein Nebenbuhler einen letzten Stoß. Jeden Moment würde er sich auf ihren Bock werfen und ihm den Rest geben.
Dann aber geschah etwas Überraschendes. Ihr Bock hatte wieder festen Boden
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