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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Thema wechseln zu können. »Nun, Edward, wissen Sie, wann sie erbaut wurde? Nein? Mr. Martell? Ebenfalls nein. Nun, man datiert sie auf das späte elfte Jahrhundert, etwa um die Zeit, als König Wilhelm Rufus regierte. In diesem Fall wäre sie viel älter als die Universität.«
    Nachdem diese Mitteilung mit gebührender Achtung entgegengenommen worden war, fand Fanny, dass es nun schicklich war, den Fremden anzusprechen. »Was halten Sie von Ruinen, Mr. Martell?«
    Er drehte sich zu ihr um und sah sie an. »Ich bin mir nach der äußerst lehrreichen Lektüre von Mr. Gilpins Traktat« – er neigte kurz den Kopf in Richtung des Vikars – »der pittoresken Natur von Ruinen bewusst; ganz sicher sind antike Bauwerke sehr bewundernswert, und sie vermitteln uns viel Wissen. Allerdings muss ich zugeben, Miss Albion, dass ich die lebendige Kraft eines bewohnten Gebäudes der Dekadenz ihrer Überreste vorziehe.«
    »Doch es gibt sogar Menschen, die Ruinen bauen«, wandte Fanny ein.
    »Ein Freund von mir hat es getan. Aber ich finde es geschmacklos.«
    »Oh.« Als sie an ihre eigenen Pläne dachte, errötete sie unwillkürlich. »Warum?«
    »Ich würde nie so viel Geld für etwas derart Nutzloses ausgeben. Ich sehe darin keinen Sinn.«
    »Aber, aber, Sir«, sprang Gilpin für Fanny in die Bresche. »Ihr Widerspruch hat eindeutig eine Schwäche: Sie könnten dasselbe über jedes Kunstwerk sagen. Ihnen zufolge dürfte man auch keine Ruinen malen.«
    »In gewisser Hinsicht haben Sie Recht, Sir«, entgegnete Martell. »Trotzdem genügt mir Ihre Begründung nicht ganz. Meiner Ansicht nach ist es eine Frage des Aufwandes. Ein Maler, ganz gleich, wie sehr er sich auch ins Zeug legt, verbraucht nur seine Zeit, Farben und Leinwand. Hingegen könnte man für den Preis einer kleinen Ruine unzählige Häuser bauen, die nützlich wären und zugleich einen angenehmen Anblick böten.« Er hielt inne. Offenbar gefiel es ihm nicht, so lange sprechen zu müssen. »Und da gäbe es noch etwas, Sir. Ein Haus ist das, was es vorstellt, nämlich ein Gebäude. Ein Gemälde ist ein Gemälde. Aber eine nachgebaute Ruine spiegelt vor, etwas zu sein, was sie nicht ist. Sie ist künstlich. Demzufolge sind die Gefühle und Träume, die sie auslöst, ebenfalls nicht echt.«
    »Dann sind Sie also kein Freund der gotischen Architektur?«, fragte Fanny.
    »Sie meinen, dass man ein schönes Haus nimmt und es mit gotischen Ornamenten verziert, um einen anderen Eindruck zu erwecken. Nein, ganz gewiss nicht, Miss Albion. Ich verabscheue diese Mode.«
    Dennoch gingen sie hinüber, um sich Folly Bridge aus der Nähe anzusehen. Edward plauderte weiter. Die Stimmung war gelöst. Nach der Besichtigung der Brücke wollten Mr. Gilpin und die Mädchen zum Blue Boar Inn zurückkehren, um etwas zu essen und sich auszuruhen. Edward und Mr. Martell begleiteten sie zum Gasthof, und man verabredete, am nächsten Morgen wieder mit Edward einen Spaziergang durch Oxford zu unternehmen. Mr. Martell hatte offenbar andere Verpflichtungen. Außerdem schlug Edward vor, an ihrem letzten Tag in das Dorf Woodstock zu fahren und den gewaltigen Landsitz Blenheim Palace zu besuchen, der unweit der Ortschaft in einem prächtig gestalteten Park lag.
    »Der Herzog ist zwar stets zugegen«, erklärte Edward, »aber man darf das Haus nach vorheriger Anmeldung – was ich bereits erledigt habe – besichtigen.«
    »Ausgezeichnet!«, rief Gilpin aus. »Der Herzog besitzt einige Gemälde von Rubens, die man sich nicht entgehen lassen sollte.«
    »Martell«, meinte Edward, »möchtest du nicht mitkommen?« Als sein Freund zögerte, fragte er: »Warst du schon einmal in Blenheim?«
    »Ich habe ein- oder zweimal dort übernachtet«, entgegnete Martell ruhig.
    »O Gott, Martell«, erwiderte Edward ohne jede Verlegenheit. »Ich hätte mir denken können, dass du den Herzog kennst. Also los. Möchtest du diesen beiden Damen nicht Gesellschaft leisten, oder fährst du nur nach Blenheim, wenn du vom Besitzer persönlich empfangen wirst?«
    Zu Fannys Erstaunen schüttelte Martell bloß den Kopf und schmunzelte über diese Neckerei. Offenbar störte es ihn nicht, wenn Edward ihn freundschaftlich hänselte. »Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie zu begleiten«, sagte er mit einer leichten Verbeugung; doch Fanny war nicht sicher, ob er es ehrlich meinte.
    Nachdem Mr. Martell sich verabschiedet hatte, speisten die beiden Mädchen mit Edward und Mr. Gilpin. Fanny war es lieber so, denn sie empfand die

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