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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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dass sie unmöglich reisen konnte. Nur Mr. Gilpins Hilfe war es zu verdanken, dass es doch geklappt hatte.
    »Meine Frau findet, ich säße nun schon zu lange untätig in Boldre herum«, versicherte er den dankbaren Tottons, und zwar so nachdrücklich, als ob es wahr gewesen wäre. »Sie besteht darauf, dass ich die Mädchen begleite. Und da ich selbst in Oxford studiert habe, wäre es mir ein großes Vergnügen, die Stadt wieder zu sehen.«
    Mit einem Vikar als Anstandsdame war für die Sittsamkeit der Mädchen ausreichend gesorgt. »Außerdem«, erinnerte Fanny Louisa, »ist es wirklich eine große Ehre für uns, in der Gesellschaft eines so angesehenen Mannes zu reisen.« Also hatte man sich froh gelaunt in der besten Kutsche der Albions auf den Weg gemacht. Von Winchester aus hatten sie die alte Straße genommen, die nach Norden ins sechzig Kilometer entfernte Oxford führte.
    Am späten Vormittag nahmen sie im Blue Boar, dem besten Gasthof von Cornhill, Quartier. Die Mädchen teilten sich ein Zimmer. Mr. Gilpin bewohnte das zweite. Und pünktlich zur Mittagszeit erschien ihr Cousin Edward Totton.
    Nachdem er seine Schwester und seine Cousine umarmt und seine Freude über Mr. Gilpins Anwesenheit ausgedrückt hatte, stellte er fest, wie sehr alle darauf brannten, die Stadt zu erkunden. Also schlug Edward zuerst einen Bummel vor.
    Es war wirklich ein hübsches Städtchen, mit breiten kopfsteingepflasterten Straßen, winkeligen mittelalterlichen Gassen, alten gotischen Kirchen und prächtigen klassizistischen Fassaden. Seit mehr als fünfhundert Jahren wurde die Universität beständig größer. Auf den Straßen wimmelte es von Menschen: Geistliche, arme Gelehrte, reiche junge Männer mit gepudertem Haar, gestrenge Professoren im Talar und natürlich zahlreiche Besucher. Immer wieder kamen Edward und seine Gäste an beeindruckenden Torbögen und Pförtnerhäuschen vorbei, die aussahen wie der Eingang zu einem Palast. In winzigen Seitengassen entdeckten sie winzige, finstere Höfe, die wirkten, als hätte sie seit der Zeit der Mönche vor vierhundert Jahren niemand mehr betreten.
    Edward und die Mädchen waren bester Laune und vergnügt. Fanny stellte bewundernd fest, wie zurückhaltend der Vikar sich betrug. Er war ein angenehmer, aber auch schweigsamer Gesellschafter. Hin und wieder – zum Beispiel vor der Bodleian Bibliothek oder vor Christopher Wrens vollendet gestaltetem Sheldionian Theater – trat er vor und wies mit ruhiger, dunkler Stimme auf die Besonderheiten des Gebäudes hin. Sie besuchten das Queen’s College, dessen Absolvent Gilpin war, und er führte sie dort herum. Ansonsten jedoch blieb er lieber im Hintergrund und überließ es Edward, den Mädchen die Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Und er verzog keine Miene, wenn Edward wieder einmal etwas verwechselte. Offenbar hatte der Geistliche genauso viel Spaß wie die jungen Leute, steckte mit einem begeisterten »Aha« den Kopf in jeden Winkel und stellte fest, dass sich in den letzten fünfzig Jahren hier nichts verändert hatte. Sie besichtigten das gewaltige Balliol College, das beeindruckende Christchurch College und das gemütliche Oriel College und erreichten gegen drei Uhr Merton College, wo Edward studierte.
    »Angeblich ist es das älteste«, teilte er ihnen mit.
    »Einspruch«, meinte Gilpin kichernd.
    »Zumindest dem Bauwerk nach«, erwiderte Edward schmunzelnd. »Es wurde 1664 errichtet. Wir sind sehr stolz darauf. Der Direktor wird als warden bezeichnet.«
    Das Merton College hatte wirklich eine hübsche Anlage, nicht groß und gewaltig, sondern eher heimelig und reizend altmodisch. Die Kapelle hingegen suchte ihresgleichen. An ihrem westlichen Ende befanden sich einige Denkmäler und Gedenksteine. Vor einem kunstvoll gestalteten Stein, der an den vor einigen Jahrzehnten verstorbenen Direktor Robert Wintle erinnerte, blieben sie stehen. »Ein hervorragender Gelehrter«, begann Gilpin, doch Edward unterbrach ihn mit einem Jubelruf. »Ach, da ist er ja! Ich habe ihm gesagt, wir könnten uns im Merton treffen.«
    Zu ihrem großen Erstaunen sahen Mr. Gilpin und die beiden jungen Damen einen elegant gekleideten Mann näher kommen, der ein paar Jahre älter und ein wenig größer als Edward war. Der Fremde hatte ein bleiches, aristokratisches Gesicht und einen dichten, vom Wind zerzausten dunklen Haarschopf. Bei Edwards Anblick nickte er lächelnd und verbeugte sich dann höflich vor Gilpin und den Damen.
    »Ich habe nichts verraten, weil ich

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