Der Wald der Könige
Anwesenheit eines Mannes, der offenbar keine Freude an einem Gespräch hatte, als anstrengend. Sie erkundigte sich bei Mr. Gilpin nach seiner Meinung über Edwards Freund.
»Ein kluger Kopf«, erwiderte Mr. Gilpin taktvoll, »allerdings vielleicht ein wenig zu hitzig. Ich müsste ihn besser kennen lernen.« Diese Antwort war zwar interessant, doch Fanny hatte eigentlich etwas anderes gemeint.
»Er ist unverschämt reich«, ergänzte Edward. »Das kann ich euch versichern.«
In ihrem Zimmer fragte Fanny später ihre Cousine, was sie von Martell hielt.
»Nun, er ist eine gute Partie, und das weiß er auch.«
»Und wie beurteilst du seinen Charakter und seine Einstellung?«
»Aber, Fanny, was soll ich dazu sagen? Schließlich hast du doch mit ihm gesprochen.« Bis jetzt hatte Fanny noch gar nicht darüber nachgedacht, aber nun fiel ihr auf, dass Louisa während des Spaziergangs mit Mr. Martell kaum ein Wort von sich gegeben hatte. »Eines jedoch habe ich bemerkt, Fanny«, fuhr ihre hübsche Cousine lächelnd fort.
»Was denn, Louisa?«
»Dass er dir gefällt.«
»Mir? Ach, nein, Louisa. Das bildest du dir nur ein. Wie kommst du bloß darauf?«
Doch Louisa verweigerte die Antwort und setzte sich ans Fenster. Sie griff nach einem Buch und begann etwas auf das Deckblatt zu zeichnen. Sie war völlig in ihre Beschäftigung versunken und sprach kein Wort, während Fanny sich bettfertig machte. Schließlich rief Louisa nach ihrer Cousine, reichte ihr wortlos das Buch und zeigte ihr im Dämmerlicht die Zeichnung.
Sie stellte einen brunftigen Rothirsch bei Morgengrauen auf der Heide dar. Das prächtige Geweih in den Nacken gelegt, stieß er ein mächtiges Röhren aus. Das Tier war wirklich gut getroffen, die Zeichnung kunstfertig ausgeführt – nur mit einer kleinen Abänderung: Der Hirsch hatte Mr. Martells Gesicht.
»Ein Glück, dass wir ihn morgen nicht sehen«, sagte Fanny, »denn dann würde ich bestimmt zu lachen anfangen.«
Am nächsten Tag, der sehr angenehm verlief, wurde Mr. Martell mit keinem Wort erwähnt. Am folgenden Morgen jedoch stand er, in braunem Rock, Reithosen und passendem braunem Hut, pünktlich vor ihrer Tür. Er ritt auf einem prächtigen Rotfuchs neben ihrer Kutsche her und erklärte, das Wetter sei heute so schön und das Pferd habe zwei Tage lang im Stall gestanden, weshalb es dringend Bewegung brauche. Obwohl diese Begründung völlig glaubwürdig klang, konnte Fanny sich des Gedankens nicht erwehren, dass er so zumindest nicht in die Verlegenheit kommen würde, unterwegs mit ihnen plaudern zu müssen. Es war eine schöne Fahrt. Allerdings hielt Mr. Gilpin nicht viel von der Landschaft rings um Oxford. »Sie ist zu eben«, meinte er. »Ich kann sie nur als kultivierte Langeweile bezeichnen.« Obwohl der Gegend bedauerlicherweise die pittoresken Eigenschaften fehlten, hatte sie eine interessante Geschichte vorzuweisen. Der Vikar erinnerte die jungen Leute daran, dass ein mittelalterlicher König seine Geliebte, die schöne Rosamund, in Woodstock untergebracht hatte. Die Königin war so eifersüchtig auf diese Dame, dass sie sie vergiften wollte. Und deshalb, so lautete die Legende, ließ der König einen Irrgarten rings um Rosamunds Haus anlegen, zu dem nur er den Eingang kannte. »Eine hübsche Geschichte, auch wenn sie nicht wahr ist«, stellte der Reverend fest und unterhielt die jungen Frauen mit weiteren Anekdoten, bis sie das Parktor des großen Palasts von Blenheim erreichten, den John Churchill, ein Höfling und erfolgreicher Soldat, errichtet hatte, nachdem er zur Zeit Karls II. zum Herzog von Marlborough ernannt worden war.
Während die Kutsche die Auffahrt entlangrollte, hielt Fanny neugierig nach dem Landhaus Ausschau, das sie bald jenseits einer riesigen Rasenfläche entdeckte.
Der Anblick war so einschüchternd, dass sie vor Ehrfurcht nach Luft schnappte. Sie kannte die Herrensitze im New Forest und hatte das große Haus der Wiltons in Sarum besucht. Doch nichts hatte sie auf diese Pracht vorbereitet.
Der gewaltige Palast von Blenheim – benannt nach dem größten Sieg des Herzogs über König Ludwig XIV. von Frankreich – ruhte nicht in der Landschaft, sondern nahm sie ein wie eine in Stein gehauene Kavallerie. Die Fassaden im griechisch-römischen Stil erinnerten weniger an ein Landhaus als vielmehr an Paläste wie den Louvre.
Zuerst besichtigten sie das Haus. Die Marmorhallen und Emporen des Herzogs von Marlborough strahlten eine unnahbare Würde aus, wie
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