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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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beobachtete. Ihr war gar nicht klar gewesen, über welche Macht er verfügte.
    Gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts war der Bau eines Hochseeschiffes ein aufwendiges Unterfangen. Wie in den meisten Industriezweigen jener Zeit wurde auch in dieser Branche auf dem Land, in kleinen Betrieben und mit der Hand gearbeitet. Dennoch war die kleine Werft am Rande des New Forest sehr produktiv. Nicht nur viele Handelsschiffe, sondern auch ein Zehntel der neuen Kriegsmarine stammten von der Werft am Ufer des Flusses von Beaulieu.
    Mr. Adams brachte sie zuerst zu einem großen, scheunenähnlichen Holzgebäude oberhalb der Hellinge, das neben der Schmiede stand. Dort zeigte er ihnen eine große, längliche Halle, auf deren Boden verschiedene Muster eingezeichnet waren. »Das nennen wir den Schnürboden«, erklärte er. »Hier legen wir die Formen maßstabgetreu aus und fertigen hölzerne Modelle an, um sie während des Baus mit jedem Zentimeter des Schiffes zu vergleichen.«
    Sie gingen hinauf zur gewaltigen Sägemühle. Zwei Männer waren mit dem Zerteilen eines Baumstamms beschäftigt. Einer stand auf dem Stamm und hielt das obere Ende fest, während der andere unten in einer Grube das andere bearbeitete.
    »Der Mann oben ist der Meister. Er führt die Säge«, erklärte Mr. Adams. »Der Mann unten ist sein Lehrling. Er muss sich abmühen, denn er zieht die Säge.«
    »Warum trägt der Mann in der Grube so einen großen Hut?«, fragte Louisa.
    »Das werden Sie gleich sehen«, erwiderte Mr. Adams mit einem spöttischen Blick. Im nächsten Moment wurde der Grund klar, denn die Säge sauste nach unten, und ein Schwall Sägemehl ergoss sich auf den Kopf des bedauernswerten Arbeiters.
    Offenbar verfehlte die sachliche, strenge Art des Adeligen ihre Wirkung auf Mr. Adams nicht, denn nach einer Weile war er recht aufgeräumter Stimmung. Er führte seinen Gästen verschiedene Arbeitsschritte vor. Ein Mann schnitzte mit Hohleisen und Meißel ein großes Steuerruder. Ein anderer trieb mit einem Gerät, das einem Korkenzieher mit zwei Griffen ähnelte, Löcher in einen Pfahl.
    »Zuerst bohrt er mit dem Schneckenbohrer die Löcher«, erläuterte der Schiffsbauer, »und dann steckt er die Teile damit zusammen.« Er griff nach einem armlangen Holzzapfen. »Das ist ein Dübel. Wir stellen sie hier her, und zwar immer aus demselben Holz wie die Stücke, die wir damit befestigen wollen. Ansonsten lockern sie sich, und das Schiff verrottet. Es gibt sogar noch größere als diesen da.«
    »Verwenden Sie denn im Schiffsbau keine Eisennägel?«, fragte Edward.
    »Schon.« Dem alten Mann fiel etwas ein. »Sie sind doch in der Seilerei in Beaulieu gewesen. Dort, in Sowley, haben die Mönche vor langer Zeit einen großen Fischteich angelegt. Nun stellen wir dort unsere Eisennägel her.« Er lächelte. »Auf diese Weise kann selbst ein Kloster« – ganz offensichtlich meinte er »etwas Nutzloses und Papistisches wie ein Kloster« – »zu etwas Sinnvollem dienen.« Anscheinend zufrieden mit seinem Geistesblitz, führte er sie zum Fluss hinunter.
    Auf den Hellingen befanden sich drei Schiffe unterschiedlicher Größe, an denen emsig gearbeitet wurde.
    Martell musterte sie anerkennend. »Wie ich annehme, geschieht es aus Sparsamkeit, dass Sie neben dem großen Schiff auch ein kleines bauen«, merkte er an.
    »Genau, Sir. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen«, erwiderte Mr. Adams. »Auf diese Weise können wir alle Teile ein und desselben Baumes gleichzeitig verwenden. Dennoch«, fügte er, an Martell gewandt, hinzu, »haben wir viel Verschnitt, weil nur das Innere des Baumes hart genug für den Schiffsbau ist. Wir verkaufen so viel Abfallholz, wie wir können, aber…« Offenbar hielt der Schiffsbauer überhaupt nichts von Verschwendung.
    »Stammen alle Eichen aus dem New Forest?«, fragte Fanny.
    »Nein, Miss Albion. Natürlich« – er wies auf den umliegenden Wald – »beziehen wir den Großteil von hier. Doch wir müssen uns auch ein wenig weiter umsehen. Außerdem bestehen Schiffe nicht nur aus Eichenholz. Den Kiel macht man aus Ulme, die Außenhaut aus Buche. Für Maste und Rundhölzer benutzen wir Fichte. Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
    Auf der größten Helling stand ein großes, fast vollendetes Kriegsschiff.
    »Das ist die Cerberus«, verkündete Mr. Adams. »Zweiunddreißig Kanonen, fast achthundert Tonnen. Die größten Kriegsschiffe sind nur fünfzehn Meter länger, aber doppelt so schwer. Im September läuft sie vom Stapel,

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