Der Wald der Könige
diesem hier ließen sich etwa vier Fuhren – oder Tonnen – Holz gewinnen. Ein Kriegsschiff war aus mehr als zweitausend Fuhren gefertigt, was dem Eichenbestand von etwa sechzehn Hektar Wald entsprach. Deshalb waren ständig die Äxte der Holzfäller zu hören. Eine alte Eiche nach der anderen stürzte auf den Waldboden, und die Holztransporte strömten dem Meer entgegen wie die kleinen Bächlein, die durch den New Forest flossen.
Inzwischen hatte der Baum das Ende seiner Reise auf dem Landweg erreicht. Puckle, der neben dem Leitpferd herging, blickte nach Buckler’s Hard hinunter.
Was hatte er getan? Er wusste nicht, warum ihn ausgerechnet an diesem Morgen die Erkenntnis getroffen hatte wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Als er die in zwei Reihen angeordneten Backsteinhäuschen betrachtete, hätte er weinen können. Nun würde er alles, was er liebte, hinter sich lassen müssen.
Buckler’s Hard war seine Heimat geworden. Wie viele Jahre arbeitete er hier nun schon im Schiffsbau? Wie viele Jahre ging er nun schon zu dem verschwiegenen Plätzchen am Fluss, wo die Schmuggler die Fässer mit dem feinsten Brandy anlandeten, und brachte die kostbare Fracht dann zum Schuster in Buckler’s Hard. Dort wurden die Flaschen in einem verborgenen Keller abgefüllt und diskret an die Gutshäuser auf der Ostseite des New Forest verteilt. Wie oft war er an Mr. Adams, dem Meister, und seinen Freunden auf der Werft – ja sogar am jungen Mr. Adams, dem Hilfsgeistlichen von Beaulieu – zu ungewöhnlicher Stunde vorbeigeschlendert, ohne dass diese ihn bemerkten.
Denn Mr. Adams hatte einen einfachen Lebensgrundsatz: Er sah in die andere Richtung. In Buckler’s Hard wurde keine Schmuggelware gelöscht. Und was der Schuster in seinem Keller trieb, kümmerte ihn ebenso wenig wie die nach Einbruch der Dunkelheit gelieferten und wieder abgeholten Waren. Wenn eine Flasche besten Brandys vor seiner Tür stand, fragte er nicht nach deren Herkunft. Und solange man sich an diese Vorgaben hielt, war er wirklich auf erstaunliche Weise mit Blindheit geschlagen. Falls Puckle nach einer großen Schmuggelfahrt auf die andere Seite des New Forest zu spät zur Arbeit kam – und manchmal verpasste er einen ganzen Tag –, hätte Mr. Adams schwören können, dass er auf der Werft gewesen und auch dafür bezahlt worden sei.
Puckle, dem man vertraute. Puckle, der viele Freunde hatte. Puckle, der Waldbewohner. Wie konnte er von hier fortgehen?
Natürlich hatte er darüber nachgedacht und sich eingeredet, er würde sich schon aus der Affäre ziehen können. Doch es war zwecklos. So eine Tat würde man ihm nie verzeihen, und man würde sich dafür an ihm schadlos halten. Auch wenn es Wochen oder gar Monate dauerte, irgendwann würde er dafür büßen müssen.
Und wenn er sich jetzt einfach weigerte? War das möglich? Grockletons klauenähnliche Hand und Isaac Seagulls argwöhnischer Blick standen ihm vor Augen. Nein, es war zu spät. Ein Rückzieher kam nicht mehr in Frage. Während die anderen Männer das Fuhrwerk übernahmen, ging Puckle zur Helling hinunter, um sich durch die Arbeit an einem Schiff von seinen Grübeleien abzulenken.
Kurz bevor er sein Ziel erreichte, sah er, dass Mr. Adams vor seinem Haus stand und sich mit einigen Besuchern unterhielt.
Fanny fand den alten Mr. Adams um einiges interessanter als seine beiden Söhne. Er hatte ein wettergegerbtes Gesicht und trug eine altmodische weiße Perücke. Trotz seiner mehr als achtzig Jahre hielt er sich noch kerzengerade und ritt auch weiterhin selbst nach London, um Verträge mit der Marine auszuhandeln. Obwohl er die Besucher als Störenfriede empfand, war er so höflich, sie herumzuführen.
Außerdem fiel Fanny auf, dass mit Mr. Martell eine Verwandlung vorgegangen war. Bis jetzt hatte sie ihn als stolzen Aristokraten, gebildeten Mann und – das gestand sie sich offen ein – angenehmen Gesellschafter empfunden. Doch als er den Ausführungen des alten Mr. Adams folgte, bemerkte sie noch einen anderen Zug an ihm. Er beugte sich ein wenig zu dem Schiffsbauer hinunter, damit ihm auch kein Wort entging, und stellte kluge Fragen, die der alte Mann ihm respektvoll beantwortete. Sein ebenmäßiges, düsteres Gesicht war aufmerksam und angespannt. Auf Fanny wirkte er wie der Inbegriff eines einflussreichen Großgrundbesitzers und normannischen Ritters, der wusste, wovon er sprach, und der Gehorsam verlangte. Zu ihrem Erstaunen wurde sie von einem Schauder ergriffen, als sie ihn
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