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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sehr er diesen Eingriff missbilligte, mussten sie warten, bis er fertig war. In diesem Moment schwebte plötzlich ein Flussuferläufer über dem Pförtnerhaus im Himmel, ein so reizender Anblick, dass alle gebannt hinsahen. Fanny fragte sich, welcher Teufel Louisa reiten mochte, denn diese zeigte auf den schlanken, eleganten Schreitvogel und rief: »Schaut nur, eine Möwe!«
    Zuerst hielten Fanny und Martell das für einen Scherz, doch bald wurde ihnen klar, dass sie es ernst meinte. Fanny wollte schon etwas einwenden, verkniff sich aber die Bemerkung. Sie und Martell wechselten Blicke. Und dann – sie konnten sich einfach nicht dagegen wehren – brachen sie beide in Gelächter aus. Anschließend beging Martell ganz unwillkürlich den schweren Fehler, von Louisa abzurücken und freundschaftlich Fannys Arm zu drücken. Louisa musste miterleben, dass die beiden – und das war unverkennbar – sich wie ein Liebespaar gegen sie verbündeten und sich über sie lustig machten. Ihre Miene verdüsterte sich.
    »Mr. Gilpin!« Gewiss war es einer glücklichen Vorsehung zu verdanken, dass genau in diesem Augenblick ein Ruf ertönte. Er kam von der Klostermauer her, und im nächsten Moment eilte eine Gestalt auf sie zu. »Es ist uns eine große Ehre.« Mr. Adams, der Hilfsgeistliche von Beaulieu – eigentlich war er der hiesige Pfarrer, denn der Mann, der diesen Posten eigentlich innehatte, ließ sich nie hier sehen –, war der älteste Sohn von Mr. Adams, des Schiffsbaumeisters in Buckler’s Hard. Während seine Brüder ins Geschäft eingetreten waren, hatte Adams in Oxford studiert und sich danach zum Priester weihen lassen. Nachdem Gilpin ihn freundlich begrüßt und seine Begleiter vorgestellt hatte, erbot sich der Hilfsgeistliche, sie herumzuführen. Zuerst brachte er sie ins Haus des Abtes. »Aus mir unbekannten Gründen wird es heute als Palace House bezeichnet«, erklärte er. Die Gäste bewunderten die Räume mit den prächtigen Gewölben. Martell folgte, höflich wie immer, den Erläuterungen des Geistlichen, während Fanny und der kleine Furzey ein wenig zurückblieben. Offenbar hatte der Junge sie zu seiner Herzensfreundin auserkoren.
    Danach traten sie hinaus auf den Hof und gingen zum alten Refektorium hinüber, das inzwischen als Pfarrkirche diente. Da Fanny das Gebäude gut kannte und der kleine Nathaniel inzwischen ungeduldig wurde, schlug sie vor, draußen zu warten. Die anderen verschwanden, und Fanny blieb mit dem Jungen im Kreuzgang zurück.
    Zur Blütezeit der Abtei war der Kreuzgang ein angenehmer Aufenthaltsort gewesen, und selbst als Ruine strahlte er noch einen ganz eigenen Charme aus. Die nördliche Wand mit ihren Nischen war mehr oder weniger unbeschädigt. Die übrigen Mauern waren von Efeu überwachsen und befanden sich in verschiedenen Stadien des Verfalls. Hie und da bildeten kleine Torbögen eine Abtrennung; dahinter boten die mit Gras überwucherten Fundamente eingestürzter Gebäude eine malerische Aussicht. Da sich der Bau einer Ruine für die Montagus somit erübrigt hatte, hatten sie einen Rasen und neben den bröckelnden Mauern und Säulen kleine Blumenbeete angelegt. Auf diese Weise war ein hübscher Garten entstanden, wo man im anheimelnden Schatten der alten Mauern erholsame Spaziergänge unternehmen konnte.
    Fanny ließ Nathaniel umhertollen und suchte sich im Garten ein Plätzchen, um sich zu setzen. Die geschützten Nischen in der Nordmauer wirkten sehr einladend, da sie windgeschützt waren und warm von der Sonne beschienen wurden. Fanny entschied sich für eine Nische in der Mitte, ließ sich auf der steinernen Bank nieder und lehnte den Rücken an die Mauer. Es war wirklich sehr hübsch hier. Vor ihr, auf der anderen Seite des Kreuzgangs, erhob sich die hohe Endmauer des Refektoriums wie ein Dreieck in den blauen Himmel. Ihre Begleiter besichtigten noch die Kirche. Es war ganz still. Auch Nathaniel war nirgendwo zu sehen. Fanny holte tief Luft, schloss die Augen und ließ ihr Gesicht von der Sonne bescheinen.
    Warum nur war sie so glücklich? Sie glaubte, den Grund zu kennen. Allerdings war sie – wie sie sich sagte – nicht so närrisch anzunehmen, dass Mr. Martells Freundlichkeit auf mehr als auf bloßer Sympathie beruhte. Zweifellos hatte der Adelige freie Wahl unter den jungen Damen Englands. Dennoch war es sehr angenehm, dass er ihre Vorzüge – eine gute Familie, Intelligenz und Schlagfertigkeit – zu schätzen wusste. Fanny fehlte die Erfahrung mit Männern. Und

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