Der Wald der Könige
vielleicht nicht mehr so scharf waren, würde ihr diese Ähnlichkeit gewiss nicht entgehen. Und sie hätte ihr gern einen weiteren Schock erspart.
Also hoffte sie inzwischen, dass er gar nicht da sein würde, als sie die High Street entlang zu den Versammlungsräumen fuhren. Kurz darauf bahnten sie sich langsam einen Weg durch die Pflanzen in den Ballsaal. Fanny fühlte sich wie betäubt.
Die Burrards waren nicht erschienen, wohl aber die Tottons. Ebenso der Graf d’Hector, seine Frau und alle französischen Offiziere. Die jungen Damen aus Mrs. Grockletons Akademie boten einen reizenden Anblick. Manche ihrer Eltern mochten zu bäuerlich gekleidet sein, mehr Puder als nötig verwenden, ein wenig zu laut lachen oder allzu schüchtern kichern, aber nur ein Mensch mit bösen Absichten hätte daran Anstoß genommen. Auch Mr. Gilpin war der Einladung gefolgt, wirkte jedoch ein wenig gereizt. Von Mr. Martell war nichts zu sehen.
Ihr Vater und Tante Adelaide wünschten, Platz zu nehmen, und Fanny musste Mr. Grockleton zugute halten, dass er die beiden alten Leute sofort unter seine Fittiche nahm. Er stellte ihnen Stühle in eine Ecke, holte passende Gesprächspartner wie den Arzt und seine Frau herbei und las ihnen jeden Wunsch von den Augen ab, sodass Fanny sich entfernen konnte, um mit ihren Freunden zu plaudern. Nachdem sie ihre Cousins begrüßt hatte, hielt sie es angesichts ihrer gesellschaftlichen Stellung für ihre Pflicht, die Runde durch den Raum zu machen. Eine Weile war sie so damit beschäftigt, hie und da ein freundliches Wort mit den Familien aus Lymington und den französischen Offizieren zu wechseln, dass sie sonst nicht viel bemerkte. Als sie sich hin und wieder umsah, stellte sie fest, dass Mr. Martell immer noch nicht erschienen war.
»Ein Menuett!«, rief Mrs. Grockleton. »Kommen Sie, Fanny und Edward. Sie müssen es anführen.«
Fanny und Edward waren beide gute Tänzer. Der Graf und seine Frau schlossen sich ihnen an, und auch die französischen Offiziere fanden rasch Partnerinnen. Es wurde fröhlich getanzt. Doch als Edward seiner Tanzpartnerin zuflüsterte, Mr. Gilpin sitze am Klavier, da Mrs. Grockleton die Kapelle vergessen habe, hätte Fanny sich vor Lachen biegen können. Auf das Menuett folgten einige weitere Tänze.
Dann befand der Vikar, dass er nun genug hatte, und erhob sich. Inzwischen hatten die beiden Geiger sich warm gespielt und stimmten einen Ländler an, der die Bürger von Lymington auf die Tanzfläche lockte. Also wurde Mr. Martell, der unbemerkt in den Saal trat, von einem sehr vergnügten, wenn auch nicht sonderlich eleganten Bild empfangen. Im nächsten Moment wurde verkündet, dass die Erfrischungen bereit standen.
Fanny sah ihn zunächst nicht. Mit Edwards Hilfe brachte sie ihrer Tante ein Stückchen Obstkuchen und ein Glas Champagner; mehr wollte die alte Dame nicht. Doch der alte Francis Albion, der sich glänzend zu amüsieren schien, verlangte einen Teller mit Schinken und Wein. Nachdem er seine Tochter mit einem ziemlich verwegenen Blick bedacht hatte, den sie noch gar nicht an ihm kannte, schlug er vor, sie solle ihm doch ein paar der jungen Damen vorstellen. Sehr verblüfft über die Verwandlung des alten Mannes, tat sie gehorsam, wie ihr geheißen.
Als sie kurz darauf mit einem französischen Offizier plauderte, spürte sie plötzlich, dass jemand neben ihr stand, und mit einem leichten Schauder wurde ihr klar, um wen es sich handelte.
»Ich habe Sie gesucht, Miss Albion«, sagte Mr. Martell, und sie sah ihm fast wider Willen ins Gesicht.
Unwillkürlich schnappte sie nach Luft, und offenbar konnte sie ihre Panik nicht verbergen, denn er runzelte die Stirn. Doch sie war machtlos dagegen. Denn sie erblickte neben sich den Mann, dessen Porträt sie am Abend zuvor gesehen hatte.
Es war unheimlich und mehr als eine bloße Ähnlichkeit des Haars, der düsteren Gesichtszüge oder der stolzen, herrischen Miene; nein, er und das Porträt schienen identisch zu sein. Kurz schoss es Fanny durch den Kopf, dass der Rahmen in dem dunklen Flur von Haus Hale jetzt gewiss leer war, da Oberst Penruddock sich schließlich nicht an zwei Orten gleichzeitig aufhalten konnte. Er hatte sich lediglich umgekleidet und stand nun neben ihr, hoch gewachsen, dunkel, sehr lebendig und bedrohlich. Sie wich einen Schritt zurück.
»Was haben Sie?« Natürlich war er verblüfft.
»Es ist nichts, Mr. Martell.«
»Fühlen Sie sich nicht wohl?«, fragte er besorgt, aber sie schüttelte den
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