Der Wald der Könige
angenehmen Ehemann abgeben. Aber…« Sie breitete die Hände aus.
»Nein, nein, mein Kind«, meinte Mr. Albion liebevoll. »Du musst auf die Stimme deines Herzens hören.« Er hielt inne. »Und es gibt auch keinen anderen? Du wirkst ein wenig traurig.«
»Nein, Vater. Das liegt nur am Wetter.«
»Das freut mich.« Er musterte sie forschend. »Du hast noch dein ganzes Leben vor dir, mein Kind. Und du wirst einmal erben. Sehr erfreuliche Aussichten also. Ich habe nicht die geringste Sorge, dass du eine alte Jungfer werden könntest. Doch« – er lächelte zufrieden – »es besteht kein Grund zur Eile.«
»Willst du nicht, dass ich heirate, Vater?«
Der alte Francis überlegte eine Weile, ehe er zögernd antwortete: »Ich vertraue dir, Fanny. Und auch deinem Urteilsvermögen. Allerdings möchte ich nicht, dass du heiratest, nur um mir einen Gefallen zu tun. Außerdem« – er lächelte sie reizend an – »habe ich dich gern hier bei mir, und wie du sicher weißt, wird es nicht mehr lange dauern. Vermutlich wird deine Tante mich überleben. Doch falls ihr etwas zustoßen sollte, wäre ich sehr einsam.« Niedergeschlagen verzog er das Gesicht.
»Ich würde dich nie allein lassen, Vater.«
»Versprichst du mir, Fanny, dass du nicht von mir fortgehen wirst?«
»Niemals, Vater«, schwor sie gerührt. »Ich werde immer für dich da sein.«
Da Fanny noch nie zuvor verliebt gewesen war, hatte sie keine Erfahrung mit Liebeskummer. Und es gab noch eine weitere Schwierigkeit: Sie ahnte gar nicht, dass das, was sie empfand, Liebe war.
Wenn sie, wie so oft in letzter Zeit, an Mr. Martell dachte, spürte sie nur Angst und Widerwillen. Sie glaubte, seine dunkle Gestalt vor dem Fenster zu sehen oder Hufgetrappel zu hören, und wandte sich dann um in der Erwartung, er könnte es sein. Aufmerksam lauschte sie, wenn ihre Cousine Louisa von ihren Besuchen bei den Burrards sprach, und hoffte, sie würde ihn erwähnen. Doch sie hielt ihre Neugier für krankhaft, so als stelle sie sich eine Schauergestalt aus einem Roman vor. Kaum auszudenken, dass sie beinahe ein vertrauliches Verhältnis mit einem Mann begonnen hätte, der nicht nur ein Penruddock, sondern das Ebenbild des Mörders ihrer Großmutter war… Denn dass das alles auf ihn zutraf, daran bestand kein Zweifel. Wie sollte sie ihre Gefühle verstehen, sein Lächeln, seine Andeutungen, sogar seine Freundlichkeit? Sie wusste es nicht, und sie redete sich ein, dass es sie auch gar nicht interessierte. Aber je länger sie darüber nachgrübelte, desto mehr schreckliche Gedanken kamen ihr in den Sinn.
Schätzte sie die Situation vielleicht falsch ein? Schlechtes Blut. Sie hatte schlechtes Blut und Verwandte, die den unteren Schichten angehörten. Ein Makel haftete ihr an. Dass sie sich als Adelige gab und Respekt verlangte, war eigentlich nichts weiter als Betrug. Bauern wie Puckle verschleierten wenigstens nicht, wer sie wirklich waren, während sie, Fanny, sich mit fremden Federn schmückte. Selbst wenn Martell kein Penruddock gewesen wäre, würde er sie wohl nicht mit der Beißzange anfassen, wenn er erst einmal die Wahrheit erfuhr, dachte sie.
Als die Weihnachtszeit nahte, stellte sie fest, dass ihre Kräfte schleichend, aber stetig schwanden. Manchmal saß sie im Salon und tat, als lese sie in einem Buch, blätterte jedoch nur die Seiten um. Wenn Mr. Gilpin zu Besuch kam, nahm sie sich zusammen und war so fröhlich wie eh und je. Doch sobald sie allein war, verfiel sie wieder in Teilnahmslosigkeit und starrte aus dem Fenster. Hin und wieder lud Gilpin sie zum Tee ein, und sie sagte auch zu. Dann jedoch saß sie aus Gründen, die sie selbst nicht verstand, einfach nur da und war unfähig, sich zu rühren. Mrs. Pride musste ihr den Mantel bringen und sie ein wenig aufmuntern, damit sie überhaupt die Kraft aufbrachte, den Ausflug durchzustehen.
Sie lebte von Tag zu Tag und erfüllte ihre Pflichten. Wer sie nicht kannte, hätte vielleicht ihrer Ausrede geglaubt, das Wetter mache sie müde. Und kein Mensch wusste den wahren Grund, weil sie niemandem sagen konnte, dass sie ständig von einem alles erstickenden Gefühl gequält wurde. Es war weniger Trauer als eine große, graue Leere, eine übermächtige Sinnlosigkeit.
Im Januar begannen Mrs. Pride und Mr. Gilpin, sich große Sorgen um sie zu machen.
Allerdings musste der Vikar sich nicht nur mit Fanny Albion beschäftigen, denn das Schicksal eines kleinen Jungen lag ihm genauso am Herzen.
Man war
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