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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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leer. Er trat gegen das nächste: ebenfalls leer. Grockleton stürzte zu einem Teeballen hinüber und wickelte ihn aus. Stroh. Verzweifelt lief er hin und her und trat gegen Fässer, Ballen und Truhen. Leer, alles leer.
    Der Zollinspektor Grockleton stand an der nächtlichen Küste des New Forest, drehte sich zum Meer um und schickte einen schrecklichen Schrei in den dunklen Himmel empor.
    Isaac Seagull sah zu, wie die lange Karawane zur Smuggler’s Road hinaufzog. Das Gewirr aus Pfaden, Abzweigungen und Rinnen genügte, um jeden Zöllner oder Dragoner zu verwirren, der versuchte, die Freihändler auf ihrem Weg nach Norden aufzuhalten. Außerdem befanden sich die Zöllner weit weg an der östlichen Seite, wohin er sie gelockt hatte.
    Die Lieferung nach Chewton Bunny war der größte Augenblick seiner Laufbahn: eine gewaltige Ladung. Nur ungern hatte er Puckle gezwungen, als Lockvogel zu dienen, denn er hatte die Leiden des armen Mannes kaum mit ansehen können.
    »Heißt das, ich muss den New Forest verlassen?«
    »Ja.«
    »Wann darf ich zurückkommen?«
    »Wenn ich dir Bescheid gebe.«
    Das Märchen von einer Auseinandersetzung zwischen ihnen und das bisschen Theater auf der Straße hatten den Zollinspektor getäuscht. Inzwischen war Puckle schon wohlbehalten auf hoher See. Er war mit einem der Schmuggelboote mitgefahren. Außerdem hatte Seagull ihn gut bezahlt. Ein ordentliches Sümmchen. Obwohl Geld dem Waldbewohner nichts bedeutete, wenn er dafür ins Exil musste.
     
     
    Als Mr. Samuel Grockleton an diesem Nachmittag die High Street von Lymington entlangging, wurde er von allen höflich gegrüßt. Jeder stand auf seinem Stammplatz; nur Isaac Seagull schien ausgeflogen zu sein.
    Auf ihre Weise hatten die Einwohner von Lymington den Inspektor lieb gewonnen, der Demütigungen wie ein Mann wegzustecken wusste. Nun schlenderte er die Straße hinunter zum Zollhaus am Kai und erwiderte jeden Gruß – und wenn er dabei nicht unbedingt lächelte, konnte man ihm das schlecht zum Vorwurf machen.
    Unten an der Straße begegnete er dem Grafen d’Hector, der auf ihn zutrat und ihn freundschaftlich am Arm berührte. »Das nächste Mal, mon ami, haben wir sicher mehr Glück«, sagte er mit einem zerknirschten Grinsen.
    »Mag sein.«
    »Ich stehe Ihnen stets zu Diensten.«
    Grockleton nickte und ging weiter. Er hatte bereits einen Haftbefehl für Puckle beantragt. Dieser würde zusammen mit einer genauen Personenbeschreibung an jeden Magistrat im Land geschickt werden. Auch wenn es eine Weile dauern sollte, irgendwann würde Puckle ihm dafür büßen. Außerdem war Grockleton fest entschlossen, mit Hilfe der französischen Soldaten jedem dieser vermaledeiten Schmuggler im New Forest den Garaus zu machen.
    Nur eines hatte er dabei nicht bedacht: Solange er sich der Franzosen bediente, würden die Schmuggler ihm stets einen Schritt voraus sein.
    Denn der Begleiter des Grafen zu dem Treffen an der Zickzackmauer in jener Frühlingsnacht war kein anderer gewesen als Mr. Isaac Seagull.
    Der Graf hatte Mr. Grockleton und dessen überkandidelte Frau zwar wirklich gern, aber er war kein Narr.
     
     
    Francis Albion wusste, dass er sich hin und wieder schändlich aufführte, und manchmal hatte er deswegen sogar ein schlechtes Gewissen. Doch wie viele Menschen am Abend ihres Lebens hielt er es für sein gutes Recht, dass man noch eine Zeit lang Rücksicht auf seine Launen nahm. Und so gelang es ihm meist, seine Schuldgefühle zu unterdrücken.
    Obwohl Fanny nur selten ausging, hatte sie den allgegenwärtigen Mr. West bis Mitte Dezember schon dreimal getroffen. Francis fragte sich, ob seine Tochter West liebte. Wenn Fanny schon unbedingt heiraten musste, war dieser West gar keine so schlechte Wahl. Er konnte den Pachtvertrag für Hale auflösen und nach Haus Albion ziehen. Dann würde das junge Paar hier leben, sodass er, Francis, sich nicht von seiner Tochter trennen musste.
    Eines Wintermorgens sprach er das Thema an, als Fanny, die in letzter Zeit häufig bedrückt und geistesabwesend wirkte, ihm in seinem Zimmer Gesellschaft leistete. »Empfindest du etwas für Mr. West, Fanny?«, fragte er freundlich.
    »Ich mag ihn, Vater.«
    »Mehr nicht?«
    »Nein.« Fanny schüttelte den Kopf, und Francis merkte ihr an, dass sie es ernst meinte. »Warum, Vater? Möchtest du, dass ich ihn heirate?«
    »O nein. Das ist nicht nötig.«
    »Ich weiß, dass Tante Adelaide es wünscht. Und wenn ich dazu gezwungen wäre, würde er gewiss einen

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