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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Albion waren erschienen. Mr. Gilpin hatte einen kurzen, aber würdigen Gottesdienst abgehalten. In seiner knappen Predigt und in den Gebeten hatte er auch Fanny erwähnt. Und beim Abschied baten die Trauergäste Tante Adelaide, Fanny ihre besten Wünsche zu übermitteln.
    Nach der Beerdigung wollte Tante Adelaide allein nach Hause zurückkehren, worauf selbstverständlich Rücksicht genommen wurde. Also saßen nur sie und Mrs. Pride in der Kutsche, die den Weg zu dem alten Haus mit den hohen Giebeln hinauffuhr. Tante Adelaide ließ sich im Salon nieder, und Mrs. Pride brachte ihr etwas Kräutertee. Dann döste die alte Dame ein bisschen vor sich hin, verzehrte zum Abendessen ein wenig Schinken und legte sich schließlich früh zu Bett.
     
     
    Als Mr. Gilpin am nächsten Morgen um elf Uhr bei Tante Adelaide vorsprach, war diese schon längst auf den Beinen.
    Man muss sie einfach bewundern, dachte Mrs. Pride. Tante Adelaide saß kerzengerade und auf Kissen gestützt in ihrem großen Ohrensessel im Wohnzimmer. Trotz ihrer Gebrechlichkeit und der Schicksalsschläge der letzten Wochen war ihr Verstand hellwach.
    Mrs. Pride wollte sich zurückziehen, als Mr. Gilpin hereinkam, doch Adelaide bedeutete ihr zu bleiben. »Ich möchte, dass Mrs. Pride bei dem Gespräch anwesend ist«, meinte sie zu Gilpin. »Ohne sie wären wir schon längst untergegangen.«
    »Ganz Ihrer Ansicht.« Der Geistliche lächelte der Haushälterin freundlich zu.
    »Lassen Sie mich zuerst erklären, wie es um Fanny steht«, begann die alte Dame.
    Sie schilderte in allen Einzelheiten Fannys Gemütszustand, ihre Unfähigkeit, ihre Rechte zu verteidigen, die Besorgnis des Anwalts und den Ernst der Lage. Außerdem sprach sie von der Hilfsbereitschaft der Grockletons, doch Mr. Martell erwähnte sie mit keinem Wort. Als sie fertig war, wandte sich Mr. Gilpin an Mrs. Pride und fragte, ob sie dem etwas hinzuzufügen habe.
    Mrs. Pride zögerte. Was sollte sie darauf antworten? »Miss Albion hat alles ganz genau wiedergegeben«, sagte sie zögernd. »Miss Fannys Lage ist ernst. Ich habe Angst um sie.«
    »Seltsam, dass sie gar nicht versucht, sich zu verteidigen«, stellte Mr. Gilpin fest. »Ist es Ihrer Ansicht nach vielleicht möglich, dass die Anwälte meinen, sie könnte dieses Stück Spitze aus irgendwelchen Gründen tatsächlich eingesteckt haben?«
    »Das ist absurd«, entgegnete ihre Tante.
    Gilpin sah Mrs. Pride an. »Ich weiß nicht, was die Leute denken, Sir. Aber soweit ich im Bilde bin, hat Miss Fanny auf diese Frage bis jetzt noch gar nicht geantwortet.«
    »Ganz offensichtlich befindet sie sich in einem seltsamen Gemütszustand. Fast so, als hätte sie – verzeihen Sie mir – den Verstand verloren. Anscheinend ist sie nicht sie selbst, meine liebe Miss Albion.«
    »Richtig.«
    »Und woran könnte das liegen?« Er musterte sie forschend. »Könnte sie irgendetwas aus dem Gleichgewicht gebracht haben?«
    »Nichts von Bedeutung«, zischte Tante Adelaide.
    »Ich glaube, Sir«, wandte Mrs. Pride ein, »dass ihre Gefühle stark durcheinander geraten sind.« Sie musste es einfach sagen, obwohl es ihr einen strafenden Blick von Adelaide einbrachte.
    Und nun begann der schwierigste Teil von Mr. Gilpins Mission. Zuerst erläuterte er Adelaide klipp und klar, in welcher großen Gefahr Fanny seiner Ansicht nach schwebte. »Sie wird eines Verbrechens bezichtigt. Die Zeugen sind gut beleumundet. Unter diesen Umständen wird sie ihr gesellschaftlicher Stand nicht schützen. Ganz im Gegenteil könnte der Richter sie in die Kolonien abschieben, nur um ein Exempel zu statuieren und zu zeigen, dass er keine Klassenunterschiede kennt. Derartige Dinge sind schon vorgekommen.« Er hielt inne, damit diese Schreckensbotschaft sich setzen konnte.
    Doch selbst er hatte nicht damit gerechnet, dass sich Adelaides Denken stets und ausschließlich nur um eines drehte. »Gerechtigkeit«, spottete sie. »Verschonen Sie mich mit Gerechtigkeit. Ich weiß noch sehr wohl, wie die Gerichte mit Alice Lisle umgesprungen sind.«
    »Es geht hier nicht um Gerechtigkeit«, beharrte der Vikar, »sondern um das Risiko. Gewiss stimmen Sie mir zu, dass wir alles unternehmen müssen, um Fanny zu retten.« Als Antwort erhielt er ein kurzes Nicken. »Ich glaube, am besten begleite ich Sie nach Bath. Einverstanden?« Wieder ein Nicken. »Allerdings muss ich Sie warnen«, fuhr er fort. »Ich denke nicht, dass meine Anwesenheit Fanny notwendigerweise dazu bringen wird, sich zu verteidigen. Und

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