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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Nachthimmel. Seltsamerweise war die Tür noch unversehrt, doch drinnen loderte Feuer in der Finsternis.
    Die Suche nach Adelaide blieb ergebnislos. Niemand wusste, wohin sie verschwunden war. Falls sie sich im Salon befunden hatte, war sie sicherlich verbrannt.
    »Sie könnte gestürzt sein«, sagte Mr. Gilpin. »Vielleicht lebt sie noch.« Er sah Martell an. »Also, wollen wir?«
    Doch als die beiden Männer abstiegen, stellte sich ihnen Mrs. Pride in den Weg. »Warten Sie!«, rief sie. »Sie wissen nicht, wo Sie nachsehen sollen.« Und bevor jemand sie daran hindern konnte, eilte sie wieder ins Haus.
    Die kahlen, steinernen dreieckigen Giebel ragten gespenstisch aus dem Flammenmeer. Der Großteil der Zimmer brannte inzwischen lichterloh. Es war unmöglich, dass jemand in dieser Flammenhölle überlebt hatte. Doch kurz darauf erschien Mrs. Prides hoch gewachsene Gestalt erst an einem Fenster, dann an einem anderen. Plötzlich war sie verschwunden, und Gilpin und Martell wollten schon ins Haus laufen, als Mrs. Pride aus der Tür trat. Sie trug eine zarte, in Weiß gekleidete Gestalt auf den Armen.
    Es war Adelaide. Obwohl ihr Nachthemd angesengt und voller Rußflecken war, war sie nicht den Flammen zum Opfer gefallen. Doch ihre Gliedmaßen hingen schlaff herab. Sie war tot. Offenbar war sie gestürzt, hatte sich den Kopf gestoßen und war in dem dicken, schwarzen Rauch erstickt.
    Ohne Wasserpumpe war es aussichtslos, Haus Albion retten zu wollen. Das Feuer brannte viele Stunden lang, da die dicken Eichenbalken aus der Tudorzeit nur allmählich zu Asche zerfielen. Einige wurden sogar nur von außen angesengt. Am frühen Morgen leuchtete das Haus noch immer feuerrot, und als es hell wurde, hatte es sich in eine glühende Ruine verwandelt. Haus Albion gab es nicht mehr, es war mit seinen beiden Bewohnern, Francis und Adelaide, der Bewahrerin der Familienehre, untergegangen.
    Der gute Mr. Gilpin konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass es Fanny Albion nun frei stand, sich von Mr. Martell retten zu lassen. Er erinnerte sich an den Tag, an dem Francis Albion so tief geschlafen hatte, dass Fanny den Ausflug nach Beaulieu hatte mitmachen können. Forschend sah der Vikar deshalb Mrs. Pride an.
    Aber der Miene der Haushälterin war nichts zu entnehmen. Das Feuer beleuchtete ihr edles Profil. Und der Vikar hatte klugerweise nicht vergessen, dass die Dinge im New Forest nicht immer das waren, was sie zu sein schienen.
     
     
    Es war totenstill im Gerichtssaal. An diesem Morgen musste der Richter über drei Fälle von Diebstahl verhandeln. Die Angeklagten saßen, jeder von einem Polizeidiener bewacht, auf einer Bank und sahen zu, wie einer nach dem anderen aufgerufen wurde.
    Zuerst war ein junger Mann an der Reihe, der einen älteren Herrn überfallen und ihn um sein Geld und seine goldene Uhr erleichtert hatte. Er hatte einen dunklen Lockenschopf; als Junge hatte er sicher Nathaniel Furzey geähnelt. Stumpf und benommen starrte er geradeaus. Die Geschworenen brauchten nicht lange, um ihn schuldig zu sprechen. Er wurde zum Tod durch Erhängen verurteilt.
    Das arme sechzehnjährige Mädchen, das einen gekochten Schinken gestohlen hatte, damit ihre Familie etwas zu essen hatte, kam glimpflicher davon. Sie war blond und blauäugig, und ihre Schönheit wäre noch auffallender gewesen, hätte sie nicht drei Monate bei dünnem Haferbrei und trockenem Brot in einer schmutzigen Zelle verbracht. Da es ein Jammer schien, sie zu hängen, wurde sie für vierzehn Jahre nach Australien deportiert.
    Es handelte sich um alltägliche Fälle, die zwar für die Familien der Verurteilten eine Tragödie darstellten, aber nicht weiter von Bedeutung waren.
    Doch mit der jungen Dame, die angeblich ein Stück Spitze gestohlen hatte, war es eine ganz andere Sache. Der Gerichtssaal war voll besetzt. Die Geschworenen merkten interessiert auf. Die Anwälte mit ihren schwarzen Roben und ihren Perücken wurden neugierig. Ja, sogar der Richter schien Interesse an dem Fall zu haben.
    Und die allgemeine Aufregung und das Erstaunen steigerten sich noch mehr, als der Richter die junge Dame fragte, wer denn ihr Rechtsvertreter sei. Denn diese erwiderte: »Wenn Sie erlauben, Euer Ehren, ich habe keinen Anwalt. Ich möchte mich selbst verteidigen.«
    Im Gerichtssaal brach Geraune aus. Alle starrten die Angeklagte gebannt an.
    Jeder, der Fanny Albion noch vor einer Woche gesehen hatte, musste zugeben, dass eine bemerkenswerte Veränderung mit ihr vorgegangen

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