Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
war. Sie trug ein schlichtes weißes Kleid, dessen Taille nach der neuesten Mode hoch angesetzt war, was ihr ein mädchenhaftes Aussehen verlieh. Die Spitzensäume, die Satinschärpe und die seidenen Schuhe verrieten, dass Miss Albion zwar bescheiden, aber offenbar wohlhabend war. Dass sich unter dem Kleid ein seltsames kleines hölzernes Kruzifix verbarg, das einst einer Bauersfrau gehört hatte, wussten nur sie und Mr. Gilpin.
    Ruhig und selbstbewusst ließ Fanny sich an ihren Platz führen. Nachdem die Anklage verlesen worden war und man sie fragte, ob sie auf schuldig oder nicht schuldig plädiere, antwortete sie mit klarer, fester Stimme: »Nicht schuldig.«
    Ein Blick in den Gerichtssaal zeigte ihr, dass sie nicht allein war. Die Grockletons waren gekommen. Mr. Gilpin, der sie gedrängt hatte, in möglichst einfachen Worten die Wahrheit zu sagen, saß zwischen ihnen und Mrs. Pride. »Sie müssen sich retten, Miss Fanny«, hatte die Haushälterin sie noch am Vortag angefleht. »Nach allem, was geschehen ist. Jetzt können Sie Ihr eigenes Leben führen.« Doch es war der Mann neben Mrs. Pride – er lächelte Fanny nun zu –, der ihr das Versprechen abgenommen hatte, sich endlich zu wehren. Wyndham Martell hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht und sie gebeten: »Tu es, liebe Fanny, für mich.«
    Der Anklagevertreter glaubte, leichtes Spiel zu haben. Zuerst wurde die Verkäuferin aufgerufen. Sie sagte aus, sie habe die Beschuldigte einige Zeit beobachtet und gesehen, wie sich ihre Tasche geöffnet habe. Dann habe die Frau die Spitze betrachtet, ein Stück in ihre Tasche fallen lassen, die Tasche wieder zugeklappt und sich angeschickt, den Laden rasch zu verlassen. Die Verkäuferin beschrieb, wie sie die Diebin verfolgt und sie auf der Schwelle gestellt habe. In Gegenwart des Geschäftsführers habe sie dann die Spitze in Fannys Tasche gefunden.
    »Was erwiderte die Angeklagte, als Sie sie des Diebstahls bezichtigten?«
    »Nichts.«
    Im Gerichtssaal brach Getuschel aus, der Richter verlangte Ruhe und forderte Fanny auf, die Zeugin ins Kreuzverhör zu nehmen.
    »Ich habe keine Fragen, Euer Ehren.«
    Was hatte das zu bedeuten? Die Anwesenden wechselten Blicke des Erstaunens.
    Der Geschäftsführer, der anschließend aufgerufen wurde, bestätigte die Aussage der Verkäuferin. Wieder verzichtete Fanny auf ein Kreuzverhör.
    Darauf folgte eine Zeugin, die den Zwischenfall beobachtet hatte. Erneut widersprach Fanny nicht. Mr. Grockleton wirkte besorgt. Seine Frau sah aus, als würde sie jeden Moment aufspringen. Mrs. Pride presste die Lippen zusammen.
    »Ich rufe die Beschuldigte, Miss Albion, auf«, verkündete der Anklagevertreter.
    Er war ein kleiner, rundlicher Mann. Wenn er sprach, schabten die gestärkten Spitzen seines Anwaltskragens an seinem dicken Hals entlang. »Würden Sie dem Gericht bitte schildern, was sich am fraglichen Nachmittag ereignet hat, Miss Albion?«
    »Aber natürlich.« Fannys Stimme klang ernst und klar. »Ich habe mich im Laden umgesehen, genau so, wie das Gericht es gerade gehört hat.«
    »War Ihre Tasche offen?«
    »Ich habe es nicht bemerkt. Doch ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln.«
    »Haben Sie sich dem Tisch genähert, auf dem die Spitze ausgelegt war? Und leugnen Sie, dass Sie ein Stück davon genommen und es in Ihre Tasche gesteckt haben und dann zur Tür gegangen sind?«
    »Das streite ich nicht ab.«
    »Sie geben es also zu?«
    »Ja.«
    »Sie haben die Spitze also gestohlen?«
    »Offenbar.«
    »Dasselbe Stück Spitze, das draußen vor dem Laden in Ihrer Tasche gefunden wurde, wie es der Geschäftsführer und die andere Zeugin dargestellt haben?«
    »Genau.«
    Der Anklagevertreter wirkte ein wenig verdattert. Achselzuckend sah er den Richter an. »Euer Ehren, verehrte Geschworene, nun haben Sie es aus dem Mund der Angeklagten gehört. Sie hat die Spitze gestohlen. Nach Ansicht der Anklagevertretung ist die Beweisaufnahme hiermit abgeschlossen.« Er kehrte an seinen Platz zurück und murmelte seinem Schreiber eine Bemerkung über die Dummheit von Frauen zu, die glaubten, ohne Anwalt auskommen zu können. Währenddessen forderte der Richter Fanny auf, fortzufahren.
    Schweigen herrschte im Saal, als Fanny sich erhob. »Ich möchte nur einen Zeugen aufrufen, Euer Ehren«, verkündete sie. »Und zwar Mr. Gilpin.«
    Würdevoll nahm Mr. Gilpin im Zeugenstand Platz. Er bestätigte, der Vikar von Boldre, Inhaber verschiedener akademischer Titel und Verfasser einiger anerkannter Werke

Weitere Kostenlose Bücher