Der Wald der Könige
begrüßen wollte? Selbst eine Lady Maud wäre gezwungen, der Witwe Respekt zu erweisen. Und vielleicht würde sie ja auch beiläufig erwähnen, wie beliebt Adela hier in Winchester war und was für eine Ehre sie ihrem Vetter machte… Kaum war ihr dieser wunderbare Gedanke gekommen, als sie auch schon kehrtmachte und so schnell wie möglich zum Haus ihrer Gastgeberin lief.
Die Witwe war zu Hause. Ohne sich länger bei den demütigenden Einzelheiten des Zusammentreffens aufzuhalten, schilderte Adela ihr in wenigen Minuten die Lage. Die Witwe war sofort bereit, sie zu begleiten, bat sich jedoch ein wenig Zeit aus, um sich präsentabel herzurichten.
Während sich die alte Dame das Haar kämmte, fiel Adela allerdings noch etwas ein. Was war, wenn Walter und die Lady nicht so lang in der Residenz blieben und bereits aufbrachen? Das musste sie unbedingt verhindern. Ganz sicher würde Walter nicht einfach abfahren, wenn sie ihm sagte, dass die Witwe ihn besuchen wollte.
»Wir treffen uns am Eingang zur Residenz!«, rief sie und eilte durch die Straßen zurück. Sie betete, dass es noch nicht zu spät war.
Ihre Sorge erwies sich als unbegründet: Der Pförtner versicherte ihr, dass die beiden sich noch im Gebäude befanden. Adela wartete an der Tür, doch als sie immer mehr zu frieren begann und sich außerdem ein wenig albern vorkam, bat sie den Pförtner, sie hineinzulassen. Da er sie bereits in Begleitung von Tyrrell gesehen hatte, erhob er keine Einwände und versprach, die Witwe sofort zu ihr zu schicken.
»Sie ist eine alte Freundin meines Vetters Tyrrell«, erklärte Adela, deren Missmut inzwischen verflogen war.
Zwischen der Außentür und der Vorhalle befand sich ein kleines Foyer, in dem die Normannin wartete. Sie hatte sich alles sorgfältig zurechtgelegt. Falls die beiden plötzlich aus der Vorhalle auf sie zukommen sollten, wollte sie freundlich lächeln und sagen, sie sei nur zurückgekehrt, weil die Witwe auf dem Weg hierher sei. Adela war sicher, dass man ihr diese Lüge abnehmen würde, denn sie hatte sie gründlich eingeübt. Doch die beiden erschienen nicht, und allmählich wurde sie unruhig. War es möglich, dass sie das Gebäude auf einem anderen Weg verlassen hatten? Adela lauschte an der schweren Tür, die zur Vorhalle führte, aber sie hörte nichts. Nachdem sie ein paarmal auf und ab gelaufen war, lauschte sie wieder und zögerte. Dann schob sie vorsichtig die Tür einen Spaltbreit auf.
Die beiden standen zusammen da. Sie trugen bereits ihre Umhänge, und Walter hatte seine Kappe mit der Feder auf dem Kopf. Offenbar wollten sie gerade aufbrechen. Doch sie waren vor einem Wandbild stehen geblieben, das eine Jagdszene darstellte.
Walter stand hinter Lady Maud, beugte sich über ihre Schulter und zeigte auf ein Detail des Bildes. Seine Wange war dicht an ihrer, dann wich er ein kleines Stück zurück, und sie lehnte sich an ihn. Die Bewegung hatte etwas Kokettes, Vertrauliches. Seine Hand senkte sich, und einen Augenblick später umfasste sie, ganz kurz nur, Lady Mauds Brust. Lady Maud lächelte. Im nächsten Moment bemerkte sie Adela.
Die beiden fuhren auseinander. Die Lady wandte sich ab, zog den Umhang fester um sich zusammen und trat ein paar Schritte auf das Wandbild zu. Walter starrte Adela finster an, als hoffte er, der Boden würde sich auftun und sie verschlingen.
Was hatte das zu bedeuten? Liebten sich die beiden, oder war es nur eine der Tändeleien, die, wie Adela wusste, bei Hofe an der Tagesordnung waren? Was verriet das über die Gefühle der Lady zu ihrem Ehemann? Und dieser Gedanke, der ihr plötzlich in den Sinn kam, sorgte dafür, dass sie wie angewurzelt stehen blieb und die beiden entsetzt anblickte.
»Was zum Teufel hast du in der Halle des Königs zu suchen?« Walter war zu schlau, um sich etwas anderes als Entrüstung anmerken zu lassen. Selbst in ihrer Verwirrung bemerkte sie, wie rasch es ihm gelungen war, ihr den schwarzen Peter zuzuschieben – sie hatte unbefugt königlichen Besitz betreten.
Adela stammelte, die Witwe wolle ihn sprechen, sie seien gemeinsam hier. Das hörte sich ziemlich albern an, vor allem, als Walter fragte: »Nun, wo ist sie?« Denn die würdige Dame war nirgendwo zu sehen. »Lady Maud verlässt uns jetzt«, sagte er barsch. Adela wusste nicht, ob er ihr die Geschichte mit der Witwe überhaupt geglaubt hatte.
Lady Maud hatte sich inzwischen wieder gefasst und marschierte zur Tür, als ob Adela Luft wäre. Doch auf einmal blieb sie stehen,
Weitere Kostenlose Bücher