Der Wald der Könige
auf dem Laufenden gehalten? Denn hin und wieder tauchten Fremde auf, die Botschaften überbrachten. Oder lag es an Colas monatlichen Besuchen bei einem alten Freund im Schloss von Sarum? Hatte er neue Quellen aufgetan, während er wie so oft ohne Angabe von Gründen von zu Hause abwesend war? »Vielleicht ist es der Wald, der zu ihm spricht«, hatte Edgars Bruder einmal gemeint. Doch ganz gleich, was auch die Ursache sein mochte, während der kalten Jahreszeit kamen dem alten Mann einige Gerüchte zu Ohren, und Edgar merkte seinem Vater die zunehmende Besorgnis an. Im November hatte Cola seinen älteren Sohn in einer geschäftlichen Angelegenheit nach London geschickt, die den ganzen Winter in Anspruch nehmen würde. »Du bleibst hier, ich brauche dich«, hatte er nur gebrummt, als Edgar neugierig wurde.
Wenn Edgar sich hin und wieder erkundigte, was seinen Vater bedrückte, fielen dessen Antworten stets einsilbig aus. Aber als er Cola geradeheraus fragte, ob er ein neues Komplott gegen den König befürchte, stritt dieser das nicht ab. »Es sind gefährliche Zeiten, Edgar«, murmelte er und schnürte damit alle weiteren Nachfragen ab.
Ränkeschmieden boten sich so mannigfaltige Möglichkeiten, dass Edgar nicht einmal vermuten konnte, aus welcher Richtung die Bedrohung kam. Zuerst einmal durfte man die Anhänger von Robert nicht vergessen; der Besitzer der Ländereien am Südrand des New Forest gehörte auch dazu. Doch vielleicht steckte der König von Frankreich dahinter, der einen Angriff auf sein eigenes Gebiet befürchtete, falls der kriegerische Rufus Herrscher seines Nachbarlandes Normandie werden sollte. Womöglich waren die Hintergründe auch komplizierter. Vor vier Jahren erst war ein Mordkomplott gegen Rufus aufgedeckt worden. An seiner Stelle sollte der Ehemann seiner Schwester, der französische Graf von Blois, den Thron besteigen. Tyrrells Verwandte, die mächtige Familie Clare, waren in die Verschwörung verwickelt gewesen, hatten dann aber aus heiterem Himmel die Seiten gewechselt und Rufus vor dem Anschlag gewarnt. Edgar war überzeugt, dass man den Clares und ihren Erfüllungsgehilfen wie Tyrrell nicht über den Weg trauen konnte. Und die Kirche, die ohnehin keine großen Sympathien für Rufus hegte, würde dem König keine Träne nachweinen.
Aber weshalb bereiteten diese Staatsaffären seinem Vater solche Sorgen? Ganz gleich, wie der neue König auch heißen mochte, er würde froh über die Dienste eines erfahrenen Forstmannes sein. Cola hatte sich stets aus sämtlichen politischen Machtspielen herausgehalten. Warum also seine Angst? War er doch in die Angelegenheit verstrickt?
Da Edgar ein gehorsamer Sohn war, ritt er nicht nach Winchester, sondern blieb bei seinem Vater, patrouillierte im Wald und kümmerte sich darum, dass der Großteil der Hirsche wohlbehalten durch den Winter kam.
Gegen Ende der kalten Jahreszeit ging ein neues Gerücht in England um. Es lautete, Robert, Herzog der Normandie, werde bald von seinem Kreuzzug zurückkehren, in dem er sich recht wacker geschlagen habe. Inzwischen habe er in Italien Station gemacht. Dort sei er nicht nur wie ein Held aus dem heiligen Krieg empfangen worden, nein, er habe auch eine Braut gefunden, die eine beträchtliche Mitgift in die Ehe bringe. »Genug, um den Kredit zu tilgen und die Normandie auszulösen«, stellte Cola fest. Aus irgendeinem Grund nannten die Italiener Robert auch »König von England«.
»Der Himmel weiß, was das zu bedeuten hat«, fuhr Cola fort. »Doch selbst wenn er das Darlehen zurückgezahlt hat, wird Rufus ihm den Zutritt zur Normandie verwehren, und zwar mit Gewalt. Und dann werden Roberts Freunde Rufus ans Leder wollen.«
»Ich verstehe immer noch nicht, was das mit uns hier im New Forest zu tun hat«, sagte Edgar. Aber sein Vater schüttelte nur den Kopf und schwieg.
Wieder verging ein Monat ohne Neuigkeiten – bis auf die Besorgnis erregenden Nachrichten aus dem Hause von Hugh de Martell.
Als sie Hugh de Martell auf der Türschwelle der Witwe stehen sah, traute Adela zunächst ihren Augen nicht.
Nach einem kurzen Regenschauer hatte es aufgeklart, sodass die nassen Straßen in der Sonne glitzerten. Eine frische Brise, Vorbotin des Frühlings, hatte Adelas Wangen während des kurzen Spaziergangs gerötet. Ihr Gesicht fühlte sich ein wenig taub an.
Unwillkürlich schnappte sie nach Luft. Seine hoch gewachsene, stattliche Gestalt glich dem Bild, das sie sich in ihren Träumen von ihm machte. Doch
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