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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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irgendetwas in seinem Gesicht hatte sich verändert.
    Was hatte das zu bedeuten? Warum war er hier? Schließlich hatte Walter ihr doch prophezeit, dass Lady Maud ihren Mann gegen sie aufhetzen würde. Offenbar war ihr das nicht gelungen.
    Trotz eines Lächelns wirkten seine Züge angespannt. »Gehen wir ein Stück?«
    »Gern.« Sie wies in Richtung St. Swithun’s. Er schritt neben ihr her. »Bleibt Ihr lange in Winchester?«
    »Wahrscheinlich nur ein oder zwei Stunden.« Er blickte sie an. »Wisst Ihr es nicht? Aber wie solltet Ihr auch? Meine Frau ist krank.« Er schüttelte den Kopf. »Sehr krank.«
    »Oh, das tut mir Leid.«
    »Vielleicht liegt es daran, dass sie in anderen Umständen ist. Ich weiß es nicht. Keiner kann es sagen.« Hilflos zuckte er die Achseln.
    »Und deshalb seid Ihr hier…?«
    »Es gibt in Winchester einen Arzt, einen heilkundigen Juden, der auch schon den König behandelt hat. Man sagte mir, dass ich ihn hier finde.«
    Sie hatte von diesem Mann gehört und war ihm sogar schon einmal begegnet: ein majestätisch wirkender Herr mit schwarzem Bart, der schon seit einer Woche als Gast des Schatzmeisters in dessen Haus weilte.
    »Er ist mit einigen Männern des Königs ausgeritten«, fuhr Martell fort. »Doch er wird in ein oder zwei Stunden zurück erwartet. Hoffentlich stört Euch mein unangemeldeter Besuch nicht. Ich kenne sonst niemanden in Winchester.«
    »Nein.« Ihr fehlten die Worte. Er war innerlich aufgewühlt und marschierte mit langen Schritten neben ihr her und musste sich zwingen, langsamer zu gehen, damit sie nicht zu rennen brauchte. »Ich freue mich, Euch zu sehen.«
    Was wollte er von ihr? Adela betrachtete sein Gesicht, in dem sich Schmerz und Sorge malten, und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Martell mochte ein unbeugsamer Mann sein, hatte aber Gefühle wie jeder gewöhnliche Mensch. Nun litt er und war einsam. Und er war zu ihr gekommen, weil er Trost brauchte. Sie wurde von Mitgefühl ergriffen. »Es heißt, jüdische Ärzte seien sehr fähig«, meinte sie. Die Normannen hatten Hochachtung vor dem Wissen der Juden, das bis auf das Altertum zurückging. Der Eroberer hatte jüdische Gemeinden in England eingerichtet, und sein Sohn Rufus sah Juden gern an seinem Hof. »Sicher wird er sie heilen.«
    »Ja.« Geistesabwesend blickte er ins Leere. »Hoffentlich.« Schweigend gingen sie ein Stück weiter. Vor ihnen ragte die Kathedrale in den Himmel. »Winchester ist eine schöne Stadt«, sagte er, in einem tapferen Versuch, Konversation zu betreiben. »Gefällt es Euch hier?«
    Sie bejahte das und erzählte ihm dann – um ihn für eine Weile von seinen Sorgen abzulenken – von den jüngsten Ereignissen in der Gemeinde und von den Besuchern, die auf der Durchreise hier vorbeigekommen waren. Obwohl sie ihm anmerkte, wie dankbar er ihr dafür war, schien er nach einer Weile doch lieber wieder seinen Gedanken nachhängen zu wollen. Sie hörte auf zu plaudern, und schweigsam schlenderten sie um St. Swithun’s herum.
    »Das Kind soll im Frühsommer kommen«, meinte er unvermittelt. »Wir haben so lange darauf gewartet.«
    »Ja.«
    »Meine Frau ist ein prachtvoller Mensch«, fügte er hinzu. »Mutig, sanft und freundlich.« Adela nickte nur. Was sollte sie schon darauf erwidern? Dass sie wusste, wie engherzig, kleingeistig und böswillig Lady Maud in Wirklichkeit war? »Sie liebt mich, und sie ist mir treu.«
    Der Anblick der Dame, wie sie sich an Tyrrell gelehnt hatte, während dieser ihre Brust liebkoste, stand Adela noch lebhaft vor den Augen. »Natürlich.« Was für ein guter Mensch er doch war. Tausendmal zu gut für Lady Maud, dachte sie. Und dennoch war es ihre Pflicht, ihn weiter in seiner Selbsttäuschung zu bestätigen.
    Auf dem Rückweg zum Haus der Witwe sprachen sie kaum noch ein Wort. Als sie sich dem Stadttor näherten, kam ein Trupp Reiter hereingeprescht. Unter ihnen erkannte Adela deutlich die beeindruckende Gestalt des Juden.
    Martell wollte schon auf ihn zueilen, wandte sich aber erst zu seiner Begleiterin um. »Meine liebe Lady Adela.« Er umfasste ihre beiden Hände. »Danke, dass Ihr mir Gesellschaft geleistet habt.« Mit aufrichtiger Zuneigung sah er ihr in die Augen. »Eure Freundschaft bedeutet mir so viel.«
    »Keine Ursache.«
    »Nun…« Er zögerte. »Ich kenne Euch kaum, aber ich habe das Gefühl, dass man mit Euch reden kann.«
    Mit ihr reden! Als Adela sein männliches, besorgtes Gesicht betrachtete, wünschte sie so sehr, ihm eine

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