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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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jetzt hatte er geglaubt, dass er zwischen ihnen keine Unterschiede machte.
    Er verriet es nie jemandem.
     
     
    An einem feuchten Februartag rumpelte Mrs. Albion in ihrer kleinen geschlossenen Kutsche auf der Straße an Brook vorbei. Sie hatte ein Päckchen bei sich, das ein Geheimnis enthielt, und wollte unbedingt zu Hause sein, bevor ihr Mann mit dem Zug in Brockenhurst eintraf.
    Da die Fenster der Kutsche beschlagen waren, schob sie eines davon herunter und blickte hinaus.
    Im Winter wirkte der New Forest zuweilen, als wäre er im Begriff, sich in Wasser aufzulösen. Ein feuchter Nebel umwaberte die Bäume, kroch die mit Efeu bewachsenen Stämme der alten Eichen hinauf, sickerte in abgeknickte Astgabeln ein und weichte Baumstümpfe auf. Auch der Boden des New Forest war mit Wasser durchtränkt. Riesige Pfützen bedeckten die Wege und Wiesen und verwandelten das abgefallene Laub in eine breiige, braune Masse. Wohin das Auge auch blickte, war es dunstig, und die Feuchtigkeit schien einem bis in die Seele zu dringen.
    Mrs. Albion hatte gerade ihre Enkelkinder besucht. Oberst Albion und Minimus hatten nach ihrem letzten Gespräch kein Wort mehr miteinander gewechselt. Der Bruch war nicht offiziell. Doch wenn jemand gegenüber Minimus den Oberst erwähnte, zuckte er nur die Achseln und meinte: »Ach, dieser alte Schreihals.« Und falls jemand so unklug war, in Anwesenheit des Oberst den Namen Minimus auszusprechen, schwieg er zwar, lief aber puterrot an. Vielleicht hatte Minimus seit der Auseinandersetzung ein wenig Angst vor seinem Schwiegervater, vielleicht bedauerte Albion das Zerwürfnis. Aber keiner machte den ersten Schritt. Und so erhielt Minimus keine finanzielle Unterstützung.
    Ein wenig Geld war dennoch vorhanden. Denn Mrs. Albion verstand sich geschickt darauf, immer wieder kleine Summen vom Haushaltsgeld abzuzweigen, um Kinderkleider zu kaufen und ein Hausmädchen einzustellen. Bei ihren heimlichen Besuchen in dem Häuschen unweit von Fordingbridge brachte sie diese Sachen ihrer Tochter. Ihr Mann hatte ihr zwar nicht ausdrücklich verboten, Beatrice aufzusuchen, aber sie hielt es für klüger, ihm diese Ausflüge zu verschweigen. Wenn Oberst Albion seiner Tochter auf der Straße begegnete, was selten geschah, nickte er ihr nur kurz zu, blieb aber nicht stehen, um mit ihr zu sprechen. Seine beiden Enkelkinder hatte er noch nicht kennen gelernt. »Sie werden als gottlose Heiden erzogen und wachsen in schlechter Gesellschaft auf«, meinte er bedrückt. Mrs. Albion war schockiert gewesen, dass Beatrice ihren Sohn und ihre Tochter nicht hatte taufen lassen. »Und sie werden auch ein entsprechendes Leben führen«, sagte der Oberst. »Dagegen kann man nichts tun.« Er hatte seinen Anwalt aufgesucht und die Furzeys, wie in jener Zeit üblich, enterbt. Inzwischen hatte der älteste Sohn des Oberst geheiratet und war bereits Vater eines Kindes. Die Zukunft der Familie war also gesichert. Die meisten Männer in Albions Position hätten so entschieden, damit die Familie nicht ausstarb.
    Beatrices Kinder waren blond, hübsch und klug. Da ihre Eltern großen Wert auf Bildung legten, lernten sie früher lesen und schreiben als ihre Altersgenossen. Und auch wenn sie – um es in Oberst Albions Worten auszudrücken – wie gottlose Heiden im Wald herumliefen, schienen sie prächtig zu gedeihen.
    Allerdings ging es im Haushalt der Furzeys drunter und drüber, daran bestand kein Zweifel. Erst gestern hatte das Hausmädchen die Waffen gestreckt und gekündigt. Es gab keine weiteren Hausangestellten, nur ein Waisenmädchen aus einem Heim in Sarum, das in der Küche arbeitete. Beatrice wusste nicht, wie sie die Hausarbeit schaffen sollte. Ihre Mutter hatte ihr vorgeschlagen, doch George Prides Tochter Dorothy einzustellen.
    Beatrice kannte den Waldhüter gut. Die Tochter war inzwischen zwölf oder dreizehn Jahre alt. »Morgen werde ich zu ihnen gehen«, sagte sie zu ihrer Mutter. Mrs. Albion war sicher, dass Dorothy als Mitglied der Familie Pride zuverlässig war und einen guten Einfluss auf die Kinder ausüben würde.
    Doch Mrs. Albion verfolgte auch Hintergedanken. Sie hatte ihr Ziel, die Furzeys in den Schoß der Familie zurückzuführen, noch nicht aufgegeben, wusste jedoch, dass es eine lange Schlacht werden würde, die sorgfältig geplant werden wollte. Sie war sich nicht zu schade, für diesen Zweck auch zu ausgeklügelten Täuschungsmanövern zu greifen. Sie hatte sich zuerst an ihren Cousin Totton, den Sohn ihres

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