Der Wald der Könige
Augen. Dann seufzte er. »Also verließ uns Jack und zog nach Southampton. Er musste einige Jahre bei der Eisenbahn arbeiten, bevor sein Wunsch in Erfüllung ging. Und irgendwann wurde er schließlich Lokomotivführer.
Und so seltsam es auch klingt, freundete er sich immer besser mit dem ehrenwerten John Montagu an.
Als man die Eisenbahnlinie am nördlichen Ende des Gutes von Beaulieu baute, wurde eine Abmachung getroffen. Die Gleise durften zwar über Montagus Grund führen, doch dafür wurde mitten auf der Heide ein Bahnhof eingerichtet. Wenn Seine Lordschaft einen Zug für sich und seine Gäste brauchte, gab er dem Lokführer ein Zeichen zum Anhalten. Als Jack schließlich Lokführer war, sah er eines Tages das Signal. Er hielt an, und zu seiner Überraschung stieg Mr. John Montagu zu ihm in die Lokomotive und sagte: ›Wenn es Sie nicht stört, fahre ich bei Ihnen mit.‹ Mr. Montagu war technisch sehr begabt und wusste, wie man eine Lok bediente. Und natürlich ließ Jack sich die Gelegenheit nicht entgehen und fragte Mr. Montagu, ob er sich dafür das Automobil ansehen dürfe. Als wir Jack das nächste Mal trafen, kannte er sich gut mit Autos aus. Wenn der Zug vorbeifuhr, wusste man nie genau, ob er von einem Pride oder von einem Montagu gelenkt wurde.
Zehn Jahre später zog Jack von Southampton weiter die Küste hinauf. Ab und zu schrieb er uns, aber zu Gesicht bekamen wir ihn nur selten.
Es überraschte uns nicht weiter, dass Jack unbedingt zu einer motorisierten Einheit wollte, als der Weltkrieg ausbrach. Da er noch immer unverheiratet war, meldete er sich sofort freiwillig. Und nach einer Weile ließ man ihn an der Front einen Wagen fahren. Er schrieb von nichts anderem mehr. Natürlich ahnten wir alle nicht, was sich wirklich dort tat, geschweige denn, was an der Front geschah. Wahrscheinlich glaubten wir, dass ihm in einem gepanzerten Fahrzeug nicht viel passieren konnte. Und sicher war er weniger gefährdet als viele der armen Kerle in den Schützengräben. Doch das nützte ihm nichts.«
Er räusperte sich. »Nun, wie bekamen ein Telegramm, in dem stand, dass er verwundet worden war. Es hieß, die Verwundung sei schwer, und wir müssten uns gedulden. Also warteten wir. Und wir waren sehr erschrocken, als er endlich nach Hause kam, aber das weißt du ja, Sally, weil du ihn von Anfang an gepflegt hast. Dass er nie wieder gesund werden, heiraten und eine Familie gründen würde… nun, von seinem Gesicht war nicht mehr viel übrig, also hatten wir kaum Hoffnung. Doch er lebte noch, und wir waren sehr froh, ihn wieder zu haben.
Wie er in Frankreich überlebt hat, weißt du ja genauso gut wie ich. Aber ich muss sagen, es war ein Wunder, denn keiner glaubte, dass er es überstehen würde.
›Ich habe es mit eigenen Ohren gehört, Vater‹, meinte er einmal zu mir. ›Ein Offizier, der junge Hauptmann Totton, kam vorbei. Er war ein guter Soldat und hatte ein Bein verloren. Er hinkte herein und erkundigte sich nach mir. Und die Krankenschwester – ich habe sie nie gesehen, aber sie klang, als wäre sie sehr hübsch, wenn du verstehst, was ich meine – antwortete: ›Ich fürchte, er wird uns bald verlassen.‹ Und er fragte: ›Warum?‹ Sie erwiderte: ›Ich glaube, er will nicht mehr leben.‹ Dann flüsterte sie etwas, und er erwiderte: ›Oh.‹
Es wurde still, und nach einer Weile hörte ich das Klappern seiner Krücke, als er näher kam und laut zu mir sagte: ›Aber, aber, so geht das nicht. Ich weiß, dass es schwer ist, aber Sie müssen kämpfen. Geben Sie nicht auf!‹ Ich rührte mich nicht, Vater, schließlich meinte er es ja nur gut mit mir. ›Denken Sie an Englands fuhr er fort. Ich versuchte es zwar, doch es nützte nicht viel. Wenn ich an England dachte, fiel mir nur ein, wie ich meinen Zug lenkte, und natürlich wusste ich, dass das nie wieder möglich sein würde. Also lag ich nur da und überlegte mir: Gut, das war es also. Es ist besser, wenn ich sterbe, mir wird niemand eine Träne nachweinen.
Etwa eine Stunde später hörte ich ein Rascheln neben meinem Bett. Und trotz aller Verbände und des Desinfektionsmittels roch ich eine Mischung aus Schlamm und Schweiß, was gar nicht so unangenehm war. Und dann meinte eine Stimme: ›Bist du Jack Pride? Wenn nicht, kannst du meinetwegen ruhig sterben. Ich bin gerade hier angekommen. Ich heiße Alfie Seagull. Und wenn du der Jack Pride bist, den ich meine, dann habe ich miterlebt, wie du fast von einem Erdrutsch an einem Bahndamm begraben
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